Das Leben ist kurz - Vita brevis
kamt ihr nach Ostia am Tiber. Du schreibst über Monika und dich: »Dort unterhielten wir uns köstlich innig« darüber, »welcher Art wohl dereinst das ewige Leben der Heiligen sei«. Dieses Gespräch brachte euch dann zu dem Ergebnis, »dass mit der Wonne des ewigen Lebens kein Entzücken unserer fleischlichen Sinne, wie groß es auch sei, sich vergleichen, ja daneben auch nur nennen lasse«. 126
Du musst schon verzeihen, gnädiger Bischof, aber ich bin jetzt eine gebildete Frau. In aller Demut empfinde ich deshalb ein gewisses Bedürfnis danach, anzudeuten, dass sich das alles eher wie eine Art Beschwörung anhört. Denn was, wenn du dich gerade an diesem entscheidenden Punkt geirrt hast! Dann würdest du Epikur die Palme zuerkennen, hast du damals gesagt, als du mich noch gekannt hast. Ich glaube, du wärst dann sofort mit Adeodatus nach Karthago zurückgekehrt. Dann hättest du nämlich keine andere Wahl gehabt, dann hättest auch du hier und jetzt als ganzer Mensch leben müssen, und ich glaube, du hättest mehr als genug irdische Liebe gehabt, um sie mit uns anderen zu teilen.
Das Leben ist so kurz, dass wir es uns nicht erlauben können, ein endgültiges Urteil über die Liebe zu fällen. Wir müssen erst leben, Aurel, dann können wir philosophieren.
Aber bei allem dürfen wir Monika nicht vergessen. In Ostia legte sie »sich fieberkrank zu Bett«. Und du erfuhrst, dass sie »in mütterlicher Vertraulichkeit« mit einigen deiner Freunde »von der Verachtung des Lebens hier und der Wohltat des Sterbens« 127 gesprochen hatte. Sic!
Sie war ein frommer Mensch – es gelang ihr, dieses Leben zu verachten, meine ich. Ich möchte aber trotzdem hinzufügen, dass das vielleicht auch bedeutet, Gottes Schöpfung zu verachten. Wir wissen doch nicht, ob Gott für uns noch eine andere Welt erschaffen hat. Ich sehe ja ein, dass ich mich nun auch wiederhole, aber das liegt daran, dass du dich in deinen Bekenntnissen so oft wiederholst, gnädiger Bischof! Ich meine, es muss als menschlicher Übermut bezeichnet werden, dieses Leben mit all seinen irdischen Freuden um einer Existenz willen zu verachten, die vielleicht nur eine Abstraktion ist. Du hast doch wohl nicht vergessen, dass für Aristoteles solche Vorstellungen allesamt zur Ideenwelt gehören?
Das Leben ist so kurz, Aurel. Wir dürfen auf ein Leben nach dem Tode hoffen. Aber wir dürfen andere Menschen und uns selber nicht schlecht oder als Werkzeug behandeln, um eine Existenz zu erreichen, von der wir nichts wissen. Es gibt übrigens noch eine weitere Möglichkeit, die du in keinem deiner Bücher auch nur zur Sprache bringst. Als kaiserlicher Rhetor solltest du auf jeden Fall die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass es für einzelne Seelen ein ewiges Leben gibt, dass diese Seelen aber nach anderen Maßstäben ausgewählt werden, als sie für dich selbstverständlich sind. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es in jedem Fall eine größere Sünde ist, wenn ein Mann sich zusammen mit der Frau in seinem Leben der sinnlichen Liebe hingibt, als wenn er diese Frau von ihrem einzigen Sohn trennt. Ich selber freue mich über die Vorstellung, dass der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, eben auch der Gott ist, der Venus erschaffen hat. Weißt du noch damals, als ich in guter Hoffnung war? Oder wie ich den kleinen Adeodatus gestillt habe? Selbst damals hast du es gewagt, mich anzurühren, und du hast dich nach keiner anderen gesehnt.
Hattest du dich damals am weitesten von Gott entfernt?
Ich behaupte nicht, über das alles etwas zu wissen. Ich sage nur, dass ich nichts weiß. Ich sage nicht einmal, dass ich nicht an Gottes Urteil glaube. Ich sage nur, dass ich vielleicht auch daran glaube, dass Gott es verurteilt, wenn wir allen Freuden, aller Wärme, aller Zärtlichkeit den Rücken kehren, die der Bischof von Hippo Regius jetzt leugnet. Das ist Florias Bekenntnis!
Und dann starb Monika am neunten Tag ihrer Krankheit, mit siebenundfünfzig Jahren – ich war dreiunddreißig, Aurel. Damals wurde »diese gottverbundene, edle Seele aus ihrem Leibe gelöst«. 128 Du schreibst: »Nun war in dem Augenblick, da sie verhauchte, der Knabe Adeodatus in lautes Weinen ausgebrochen.« Aber »es schien uns denn auch ungehörig, dieses Todeslager mit lautem Weinen und Seufzen zu erfüllen: Denn so klagt man gewöhnlich doch über das Elendslos der Sterbenden oder als käme nun das gänzliche Verlöschen. Sie aber starb nicht elend, und sie starb nicht ganz.« 129
Friede
Weitere Kostenlose Bücher