0507 - Die Lady mit dem Schädeltick
Lady Madeline gehörte zu den Personen, die sich auf historische Vorbilder beriefen. Sie verehrte die Salome, die den Kopf des Johannes gefordert hatte, und auch ihre Männer sollten auf diese Art und Weise sterben.
In dieser Nacht sprach sie mit dem Henker. Er war ihr treu ergeben und würde die Verurteilten der Reihe nach töten. Er gehörte schon zu den älteren Männern, besaß einen Buckel und dachte nicht mehr an die Schönheit einer Frau, sondern mehr daran, wie er seinen nächsten Wein bekommen konnte.
Madeline war schön. Eine prächtige Frau mit wehendem Haar und einem Körper, der Männer wahnsinnig machen konnte. So war es auch bei den vier Verurteilten gewesen.
Madeline aber hatte nur mit ihnen gespielt. Sie waren Wachs in ihren Händen gewesen. Jedem hatte sie Hoffnung gemacht, sie dann aber gegeneinander ausgespielt.
Man hatte sie aus den Verliesen hervorgeholt. Männer, die vor Wochen noch kräftig und prächtig gekleidet waren. Jetzt konnten sie sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Sie hingen in den Griffen ihrer Bewacher. Das Fackellicht geisterte über ihre schmutzigen Gesichter und warf Reflexe in die apathisch blickenden Augen. Sie wußten von ihrem Schicksal, und keiner besaß die Kraft, sich noch einmal dagegen aufzulehnen.
Madeline Brent schaute der Szene zu. Sie stand auf einem breiten Balkon gegenüber der Hinrichtungsstätte und hatte die Lippen zu einem kalten Lächeln gekräuselt. Das weiße duftige Kleid ließ sie aussehen wie eine junge Braut, nur die war sie nicht. Zu ihr hätte besser die Beschreibung schöne Bestie oder Hexe gepaßt.
Der Henker wartete neben den Richtklötzen. Es war eigentlich Sitte, daß er sein Gesicht durch ein Tuch verbarg, doch dieser Mann hielt es nicht für nötig. Jeder wußte, welchen Beruf er ausübte, und auch jeder kannte dessen Einsamkeit. Mit ihm wollte man nichts zu tun haben.
Das Fackellicht schuf eine unruhige Atmosphäre. Die Menschen schienen zu tanzen. Manchmal wirkten ihre Körper übergroß und verzerrt, dann wieder klein, je nachdem, wie sie sich bewegten und wie sie in den Schein der Fackeln traten.
Das leise Klirren der Ketten schwang wie Musik über den Hof.
Madeline schaute noch immer lächelnd zu. Sie lächelte auch noch, als die vier ihre Köpfe hoben und sie anschauten.
Für einen Moment war sie versucht, ihren vier Liebhabern zu winken, dann ließ sie es bleiben. Ein Ruck ging durch ihre Gestalt. Sie stellte sich noch aufrechter hin und schaute mit kalt wirkenden Augen zu, wie die vier Verurteilten der Reihe nach auf den Boden gedrückt wurden, so daß sie dicht vor den Hauklötzen knieten und nur noch ihre Oberkörper nach vorn zu beugen brauchten.
Die Hälse paßten genau in die Rundungen.
Stille breitete sich aus. Der Henker trat hinter den ersten Verurteilten. Ein schleifendes Geräusch war zu hören, als er das Richtschwert aus seiner Scheide zog. Die Klinge war sehr breit und an beiden Seiten geschliffen. Sie hatte schon oft getötet.
Der Henker umfaßte den Griff mit beiden Händen und hob das Schwert hoch. Gleichzeitig griff Madeline in die Tasche ihres Kleides und holte ein weißes Tuch hervor.
Und noch etwas passierte.
Aus dem dunklen Teil des Hofes, wo kein Lichtschein hindrang, erscholl der dumpfe Klang der Trommeln.
Sie bildeten die schaurige Begleitmusik für das bald stattfindende Ereignis.
Die Trommler selbst waren nicht zu sehen. Madeline kannte den Klang. Sie wußte genau, wann er sich dem Ende zuneigte. Dann würde sie das Zeichen geben und ihr Tuch fallen lassen.
Noch wirkte die gespenstische Szene wie erstarrt. Nur das tanzende Feuer der Fackeln brachte Bewegung. Die Verurteilten rührten sich nicht, auch der Henker schien zu Wachs geworden zu sein. Ein leichter Windhauch fuhr über den Innenhof. Er brachte den Geruch von Staub und Blüten mit.
Die Trommeln verstummten!
Gleichzeitig öffnete Madeline Brent ihre Faust.
Das Taschentuch fiel.
Und der Henker schlug zu.
Viermal insgesamt. Er war routiniert, er kannte dieses grausame Spiel, und er schaute zu, wie die Köpfe der Männer in die dafür vorgesehenen Körbe fielen.
In Madelines Gesicht rührte sich nichts. Sie wartete so lange, bis auch der vierte Mann gestorben war, dann nickte sie dem Henker zu und warf einen kleinen Lederbeutel nach unten, in dem es beim Aufprall klimperte.
Es war der Blutlohn…
Der Henker lief hin, nahm den Beutel entgegen und verbeugte sich tief vor seiner Herrin, die sich noch während dieser Geste
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