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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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aber stehst still. Nichts gibt es, was du nur einmal siehst. Ich wünschte, du könntest eine Weile lang eine Prinzessin sein, oder eine Blume, oder eine Ente. Etwas, das nicht warten kann.«
    Hierauf sang Molly eine Strophe aus einem traurigen, holpernden Lied, wobei sie nach jeder Zeile eine Pause machte, um sich auf die nächste zu besinnen:

    Wer alles hat, braucht nicht zu gieren,
    doch es liegen arg darnieder,
    welche lieben, was sie bald verlieren –
    was vergangen, kehrt nicht wieder.

    Schmendrick spähte über den Rücken des Einhorns hinweg in Mollys Territorium. »Wo hast du dieses Lied gehört?«, wollte er wissen.
    Seit dem Morgen, an dem sie sich ihnen angeschlossen hatte, waren dies die ersten Worte, die er an sie richtete. Molly schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht mehr. Ich kenne es schon sehr lange.« Das Land war von Tag zu Tag dürrer und ausgebrannter geworden, und die Gesichter der Menschen waren so elend geworden wie das verbrannte Gras. Doch Mollys Gesicht wurde in des Einhorns Augen ein weiches, grünendes Land, voller Teiche und Täler, in denen geheimnisvolle Blumen leuchtend emporwuchsen. Unter dem Schmutz und der Hoffnungslosigkeit schien sie höchstens sieben- oder achtunddreißig Jahre alt zu sein, sicherlich nicht älter als Schmendrick, der freilich ein geburtstagsloses Gesicht hatte. Ihr stumpfes Haar erglänzte, ihre Haut straffte sich, und ihre Stimme war jetzt fast zu allen Wesen so sanft und sacht, wie sie es war, wenn sie mit dem Einhorn redete. Zwar gab es keine Hoffnung, dass ihre Augen jemals wieder frisch und fröhlich würden, so wenig, wie sie grün oder blau werden konnten, doch auch sie waren mit der Erde erwacht. Auf bloßen, blasenbedeckten Füßen schritt sie munter in König Haggards Reich hinein, und oft sang sie.
    In großer Entfernung, auf der andern Seite des Einhorns, stapfte schweigend Schmendrick der Zauberer. Sein schwarzer Mantel bekam ein Loch ums andre, löste sich genauso auf wie sein Besitzer. Der Regen, der Molly verjüngte, fiel nicht auf ihn, er schien vielmehr immer trockener und wüster zu werden, wie das Land ringsum. Das Einhorn konnte ihm nicht helfen. Die Berührung seines Hornes hätte Schmendrick vom Tode erweckt, aber über Verzweiflung hatte es keine Macht. So wenig wie über Magie, die gekommen und wieder gegangen war.
    Also zogen sie dahin, folgten der zurückweichenden Düsternis, in einen Wind, der nach Nägeln schmeckte. Die Kruste des Landes zersprang, sein Fleisch zog sich zu Schlünden und Schluchten zusammen oder zu grindigen Hügeln. Der Himmel war so hoch und fahl, dass er während des Tages verschwand; dem Einhorn schien es bisweilen, als sähen sie drei nackt und hilflos aus wie Schnecken, die man unter ihrem Baumstumpf oder feuchten Stein hervor in die Sonne gezerrt hat. Doch war es immer noch ein Einhorn, besaß nach wie vor die Eigenschaft, in schlechten Zeiten und an schlimmen Orten noch schöner zu werden. Selbst den Kröten in den Gräben und Baumstrünken stockte der Atem, wenn sie es sahen, und sie stellten ihr Unken für kurze Zeit ein.
    Kröten wären gastfreundlicher gewesen als das finstere Volk in Haggards Land. Die Dörfer lagen wie abgenagte Knochen zwischen messerscharfen kahlen Hügeln, und die Herzen der Menschen waren griesgrämig und grau. Die Kinder bewarfen jeden Fremden mit Steinen, die Hunde jagten ihn zur Stadt hinaus. Einige der Hunde kamen nie mehr zurück, denn Schmendrick entwickelte im Umgang mit Promenadenmischungen große Geschicklichkeit und einen guten Appetit. Dies erzürnte die Einwohner mehr, als jeder Diebstahl es getan hätte. Sie verschenkten nichts, und alle, die das taten, waren ihre geschworenen Feinde.
    Das Einhorn war der Menschen überdrüssig. Es beobachtete seine Begleiter, während sie schliefen. Traumschatten huschten über ihre Gesichter; da fühlte es, wie die bloße Kenntnis ihrer Namen es tief und schwer beugte. Um diesen Schmerz zu betäuben, lief es dann gewöhnlich bis in den Morgen hinein: Schneller als der Regen, schnell wie das Unglück raste es dahin, um jene Zeit einzuholen, in der es nichts als die Süßigkeit gekannt hatte, es selbst zu sein, und sonst nichts. Hierbei geschah es oft, dass es zwischen zwei Atemzügen dachte, Molly und Schmendrick seien schon lange tot, und König Haggard desgleichen, der Rote Stier aber gestellt und gemeistert – vor so unendlich langer Zeit, dass die Enkel der Sterne, welche all das hatten geschehen sehen, am Verlöschen

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