Das letzte Relikt
hungerten und litten und einander millionenfach meuchelten.
Für Ezra hatte die UN nur eine gute Seite, und das war der öffentliche Park, der sich am East River entlangzog. Er war gut gepflegt, und Ezra hatte angefangen, hier spazieren zu gehen, wenn er das Gefühl hatte, frische Luft zu brauchen. Es gab einen breiten ellipsenförmigen Fußweg mit Bänken und Statuen und einem großen grünen Rasen in der Mitte, den niemand auch nur betreten durfte. Niemand belästigte einen, die Sicherheitsleute hielten den Großteil des Gesindels draußen, und man musste nicht ständig aufpassen, um nicht in Hundehaufen zu treten. An manchen Tagen, wenn er viel nachzudenken hatte und nicht nach Hause gehen wollte, drehte Ezra zehn, zwölf Runden in dem Park.
Heute war so ein Tag.
Ganz wie Maury ihn gewarnt hatte, waren sein Vater und seine Stiefmutter heute Morgen zurückgekehrt. Sein Vater hatte sich allerdings gleich bei seinem Büro absetzen lassen, so dass bisher nur Kimberly tatsächlich wieder zu Hause war.
Unter Gertrudes wachsamen und ermutigenden Blicken hatte Ezra sich die Mühe gemacht, sie an der Tür zu begrüßen. Er hatte ihr sogar angeboten, ihr das Paket abzunehmen, das sie trug.
»Danke, Ezra«, hatte Kimberly gesagt, »das ist eine sehr gute Idee. Besonders, da es ohnehin für dich ist.«
»Für mich?«
»Ja.«
Auf der Stelle wurde er misstrauisch. Hüte dich vor den Griechen, wenn sie Geschenke bringen.
»Du kannst es aufmachen«, sagte sie. Die Ferien in Palm Beach hatten ihr einen leichten braunen Teint beschert und das Haar aufgehellt. »Es ist nichts Großartiges.«
Hätte er ebenfalls ein Geschenk für sie besorgen müssen? Immerhin hatte er mit dem Streit angefangen und sie in die Flucht geschlagen. Aber es war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, ein Versöhnungsgeschenk bereitzuhalten. Er warf Gertrude einen raschen Blick zu, deren Stirnrunzeln ihm riet, sich dankbar zu zeigen und das Geschenk auszupacken.
»Danke«, sagte er, während er vorsichtig die weiße Schleife entfernte und die kleine türkisblaue Schachtel öffnete. Sie war mit einer ganzen Wolke aus Seidenpapier gefüllt, und darin eingebettet sah er eine glitzernde silberne Uhr mit weißem Zifferblatt und schwarzen Ziffern. Ein kleiner Umschlag war an dem oberen Ring befestigt. Ezra nahm die Uhr heraus und stellte die leere Schachtel auf den Tisch.
»Das ist ein Wecker von Tiffany«, sagte Kimberly. »Lies die Karte.«
Ezra zog die kleine braungelbe Karte aus dem dazupassenden Umschlag und las: »Wach endlich auf und kapier, wie der Hase läuft! Alles Liebe, Kimberly.«
Er war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte; er meinte, diesen Ausdruck schon einmal irgendwo gehört zu haben, aber er war sich absolut nicht sicher.
»In unserem Haus in Palm Beach hatten Sam und ich eine Menge Zeit, um miteinander zu reden«, erklärte Kimberly. Vielleicht hatte sie seine Verwirrung bemerkt. »Wir sind beide zu dem Schluss gekommen, dass es zu deinem eigenen Besten höchste Zeit für dich wird, aus deinen alten Zimmern auszuziehen, dir eine eigene Wohnung zu suchen und anzufangen, auf eigenen Füßen zu stehen.«
Ezra war völlig schockiert.
»Es ist nicht eilig. Lass dir eine Woche Zeit, zwei, wenn es sein muss. Ich habe gehört, dass der Wohnungsmarkt zurzeit ziemlich angespannt ist. Aber wir glauben beide, dass du glücklicher sein wirst, wenn du von jetzt an allein lebst.«
Ezra, der nicht wusste, wie er reagieren sollte, blickte zu Gertrude hinüber, deren Gesichtsausdruck Mitgefühl verriet, aber keine Überraschung. Wahrscheinlich hatte sie so etwas erwartet, dachte Ezra. Sein ganzes Leben lang schienen die Leute mit den Dingen gerechnet zu haben, die Ezra zustießen, nur Ezra selbst wurde von den Ereignissen immer völlig überrascht. Was stimmte nicht mit seinem zwischenmenschlichen Radar?
»Aber ich will nicht gehen«, stammelte er. »Ich bin mitten bei der Arbeit. Ich kann sie jetzt nicht unterbrechen.«
»Natürlich kannst du das«, sagte Kimberly unbekümmert und durchquerte die Halle in Richtung Schlafzimmer. »In deiner eigenen Wohnung wirst du wahrscheinlich sogar noch besser arbeiten können. Besonders nach Montag nächster Woche.«
»Was ist denn Montag nächster Woche?«
»Da kommt Laurent vorbei, um sich deine Zimmer anzuschauen. Er ist Innenarchitekt.«
Kimberly hatte die Halle jetzt zur Hälfte durchquert und ihm den Rücken zugewandt.
»Wir werden diesen Teil der Wohnung komplett neu gestalten«,
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