Das Licht Von Atlantis
gewartet hatte. Für Reio-ta würde sie nie eine so wahnsinnige Bewunderung empfinden wie für Riveda. Sie hatte Riveda geliebt - nein, sie hatte ihn angebetet wie einen Gott. Arvath hatte sie zur Frau genommen, um einen Sohn und Erben zu haben, zwischen ihnen hatte Freundschaft bestanden und sie waren durch das Kind, das sie ihm an ihrer Schwester Statt geschenkt hatte, miteinander verbunden - aber Leidenschaft hatte Arvath in ihr nicht geweckt. Inzwischen zu vollkommener Reife gelangt, war Deoris willens und fähig, den nächsten Schritt in die Welt der Erfahrungen zu tun. Lächelnd löste sie sich aus seinen Armen. Er ließ sie los und gab ihr das Lächeln zurück. »Wir sind nicht mehr jung und stürmisch«, sagte er, »wir brauchen nichts zu überstürzen.«
»Alle Zeit gehört uns«, antwortete sie sanft. Von neuem nahm sie seine Hand, und zusammen stiegen sie in die Gärten hinunter.
Die Sonne stand schon niedrig am Horizont, als Rajasta sie alle auf einer Terrasse in der Nähe von Deoris' Wohnung zusammenrief. »Ich habe Domaris nichts davon gesagt«, teilte er ihnen mit, »aber ich möchte euch schon heute Abend mitteilen, was ich morgen den Priestern im Tempel vortragen will. Der Tempel in unserer Heimat - der Große Tempel - wird zerstört werden.«
»O nein!« rief Deoris aus.
»Doch«, bestätigte Rajasta mit ernstem Gesicht. »Vor sechs Monaten wurde entdeckt, dass die große Pyramide immer tiefer in die Erde sinkt, und die Küstenlinie ist an vielen Stellen gerissen. Es hat mehrere Erdbeben gegeben. Das Meer dringt immer weiter ins Land vor, und einige der unterirdischen Kammern brechen schon ein. Nicht mehr lange, und der Große Tempel wird von den Wellen des Meeres ertränkt werden.«
Es erhob sich ein Sturm von bestürzten, verwirrten Fragen, die er mit einer Geste zum Verstummen brachte. »Ihr wisst, dass die Pyramide über der Krypta des Verhüllten Gottes steht -«
»Ich wollte, wir wüssten es nicht!« flüsterte Reio-ta ganz leise.
»Diese Krypta ist der Nadir der magnetischen Kräfte der Erde - der Grund, warum die Graumäntel sich so bemühten, sie vor einer Entweihung zu schützen. Aber vor zehn und mehr Jahren -« Unwillkürlich streifte Rajastas Blick Tiriki, die zitternd, mit weit aufgerissenen Augen dasaß - »geschah dort ein schreckliches Sakrileg und es wurden Worte der Macht gesprochen. Reio-ta hatte nur zu recht mit seiner Vermutung; wir hatten die Würmer an unsern Wurzeln nicht ausgerottet...« In Rajastas Blick war ein Ausdruck der Angst, als sehe er von neuem Schrecken, die die anderen nicht einmal erraten konnten. »Später wurde das Übel durch noch stärkere Zaubersprüche gebannt, aber - der Verhüllte Gott hatte seine Todeswunde empfangen. Seine letzten Zuckungen werden mehr im Wasser versinken lassen als den Tempel.«
Mit fast tonloser Stimme fuhr Rajasta fort: »Die Worte der Macht haben Felsen gespalten, Materie in ihre Urbestandteile aufgelöst; Vibrationen, die auf einer so niedrigen Ebene begonnen haben, kann man nicht anhalten; sie müssen von selbst ersterben. Täglich zittert die Erde oberhalb der Krypta - und die Beben breiten sich immer mehr aus! In spätestens sieben Jahren werden der Tempel - und vielleicht die ganze Küste, die Stadt und viele Meilen des Landes im Meer versinken -«
Deoris gab einen halb erstickten Laut des Entsetzens von sich.
Reio-ta senkte den Kopf in schrecklicher Selbsterkenntnis. »Götter!« stieß er hervor. »Ich - ich bin nicht schuldlos daran.«
»Wenn wir schon von Schuld sprechen müssen«, erklärte Rajasta sanfter, als es seine Gewohnheit war, »bin ich nicht weniger schuldig als jeder andere, denn ich war Wächter, als Riveda sich in schwarze Zaubereien verstrickte. Micon weigerte sich in seiner Jugend, einen Sohn zu zeugen, und wagte es deshalb nicht, unter der Folter zu sterben. Ebenso wenig dürfen wir den Priester vergessen, der ihn unterrichtete, seine Eltern und die Diener, die ihn aufzogen, den Ururgroßvater des Schiffskapitäns, der Rivedas und meine Großmutter aus Zaiadan brachte... Niemand kann Wirkung und Ursache gerecht abwägen, und am wenigstens auf einer Waage wie dieser! Das ist Karma. Gib also deinem Herzen Freiheit, mein Sohn.«
Lange Zeit herrschte Schweigen. Tiriki und Micail hatten sich an den Händen gefasst und hörten zu, ohne alles genau zu verstehen. Reio-tas Kopf lag auf seinen gefalteten Händen, während Deoris steif wie eine Statue dastand und ihr die Kehle wie von unsichtbaren
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