Das Licht Von Atlantis
dass Deoris - oder sonst jemand - ihr verwirrtes Haar glättete, ihr frische Wäsche anzog, die nach Gewürzen roch, und sie zwischen glatte, duftende Leintücher bettete. Dämmerung und Stille herrschten in dem kühlen Raum. Sie hörte leise Schritte und gedämpfte Stimmen. Sie schlief, erwachte kurz und schlief wieder ein.
Einmal spürte sie, dass das Kind ihr wieder in die Arme gelegt wurde. Sie drückte es an sich, und war restlos glücklich. »Mein kleiner Sohn«, flüsterte sie zärtlich und zufrieden. Vor sich hinlächelnd, gab Domaris ihm den Namen, den er tragen würde, bis er ein Mann war. »Mein kleiner Micail!«
Die Tür schwang lautlos auf. Die hohe, strenge Gestalt Mutter Ysoudas erschien auf der Schwelle. Sie winkte Deoris, die ihr durch Zeichen zu verstehen gab, sie sollte nicht laut sprechen. Auf Zehenspitzen schlichen beide auf den Korridor hinaus.
»Schläft sie wieder?« fragte Mutter Ysouda leise. »Der Priester Rajasta wartet auf dich im Hof der Männer, Deoris. Geh sofort und zieh dich um; ich werde für Domaris sorgen.«
Sie wollte das Zimmer betreten, doch blieb sie noch einmal stehen und sah ihre Pflegetochter forschend an. »Was ist geschehen, Mädchen? Wie ist Domaris dazu gekommen, Karahama so schrecklich zu erzürnen? Hat es böse Worte zwischen ihnen gegeben?«
Schüchtern und nur auf Mutter Ysoudas Drängen hin berichtete Deoris, was sich abgespielt hatte.
Mutter Ysouda schüttelte den grauen Kopf. »Das sieht Domaris eigentlich gar nicht ähnlich!« Ihr runzliges Gesicht verfinsterte sich.
»Was wird Karahama jetzt tun?« fragte Deoris ängstlich.
Mutter Ysouda kam zu Bewusstsein, dass sie mit einer jungen Priesterin untersten Grades viel zu offen gesprochen hatte. »Du wirst sicher nicht dafür bestraft werden, dass du dem Befehl einer initiierten Priesterin gehorcht hast«, erklärte sie würdevoll. »Aber es steht dir nicht zu, an Karahama Kritik zu üben. Sie ist Priesterin der Mutter, und als solche darf sie keinen Groll gegen euch hegen. Wenn Domaris in ihrer Not gedankenlos gesprochen hat, weiß Karahama bestimmt, dass es der aus Schmerz geborene Zorn eines Augenblicks war und wird sich nicht beleidigt fühlen. Und jetzt geh, Deoris. Der Wächter wartet auf dich.«
Die Worte waren ein Vorwurf und Verabschiedung zugleich. Deoris dachte tief beunruhigt darüber nach. Sie zog sich um, weil die Gewänder, die sie innerhalb des Schreins der Mutter trug, nicht von den Augen eines männlichen Wesens profaniert werden durften. Sie konnte sich manches zusammenreimen, was Mutter Ysouda nicht hatte sagen wollen: Karahama gehörte nicht wirklich der Priesterkaste an, und so ließen sich ihre Reaktionen nicht genau vorhersagen.
Im Hof der Männer schritt Rajasta ungeduldig auf und ab. Als er Deoris erblickte, eilte er ihr entgegen.
»Steht mit Domaris alles gut?« erkundigte er sich. »Es heißt, sie habe einen Sohn.«
»Es geht ihr gut«, antwortete Deoris, erstaunt, dass der sonst immer ruhige Rajasta so aufgeregt war. »Ihr Sohn ist ein schönes, gesundes Kind.«
Rajasta lächelte vor Erleichterung und vor Freude über Deoris. Sie war kein verwöhntes, eigensinniges Kind mehr, sondern eine Frau, die in ihrem Aufgabenbereich wirklich etwas leistete. Er hatte sich immer als den Mentor von Deoris ebenso wie von Domaris betrachtet. Eigentlich war er ein bisschen enttäuscht gewesen, dass Deoris den Pfad der Priesterschaft des Lichts verlassen hatte, so dass er sie nie als Akoluthin oder Initiierte sehen würde, aber er billigte ihre Wahl. Seit sie in den Dienst Caratras eingetreten war, hatte er sich oft nach ihr erkundigt, und es erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung, dass die Priesterinnen sie lobten.
Mit echter väterlicher Zuneigung sagte er: »Du wächst schnell in Weisheit, kleine Tochter. Man sagte mir, dass du Domaris von ihrem Kind entbunden hast. Ich hatte geglaubt, das widerspräche irgendeinem Gesetz...«
Deoris bedeckte die Augen mit einer Hand. »Domaris' Rang stellt sie über dies Gesetz.«
Rajastas Blick wurde finster. »Das ist wahr, aber - hat sie darum gebeten, das Gesetz außer Kraft zu setzen, oder hat sie es befohlen?«
»Sie hat es befohlen.«
Rajasta war beunruhigt. Sicher, eine Priesterin des Lichts hatte das Recht, sich ihre Pflegerinnen zu wählen. Doch dieses Recht war nur eingeräumt worden, um unter ungewöhnlichen Bedingungen Härten zu mildern. Domaris hätte dies Recht nicht willkürlich und einer Laune wegen in Anspruch nehmen
Weitere Kostenlose Bücher