Ein Alptraum für Dollar
Vorwort
Mitte der siebziger Jahre saß Pierre Bellemare eines Tages vor seinem leeren weißen Blatt — und kam nicht weiter. »Immer wieder etwas Neues erfinden — etwas Spannendes, wirklich Gutes, das geht nicht! Ich kann einen neuen Roman vielleicht jedes Jahr schreiben, aber keine neue Geschichte jeden Tag!« Und so kam er auf die Idee, sich auf die Suche nach wahren Geschichten zu machen (lediglich Namen und Ortsangaben wurden in einigen Fällen geändert). Zusammen mit einem festen Team von Autoren und Dokumentären wühlte er nun in den Polizeiakten und Zeitungsarchiven aller großen Städte der Welt — und was er dabei herausfand, war oft so außergewöhnlich, so spannend, oft skurril oder auch grausam — wie das Leben nun spielt — daß er sich entschloß, von nun an nur noch solche wahren Geschichten im Rundfunk zu erzählen. Jeden Tag — zehn Jahre lang. Die »Unglaublichen Geschichten« von Pierre Bellemare sind in Frankreich ein Begriff, ein Begriff der Rundfunk- und Fernsehunterhaltung — und auch der Unterhaltungsliteratur. Dreißig Bücher mit den unglaublichen, wahren Geschichten wurden schon veröffentlicht und etwa neun Millionen Exemplare davon im französischsprechenden Raum verkauft. Ein überwältigender Erfolg, den Pierre Bellemare so erklärt:
»Heutzutage haben die meisten Menschen kaum noch Zeit zu lesen, oder sie nehmen sich die Zeit einfach nicht mehr. Sie sehen lieber fern. Aber morgens im Bus oder in der U-Bahn und abends vor dem Einschlafen, da lesen sie gerne ein paar Minuten lang. Eine kurze, abgeschlossene, spannende Geschichte auf dem Weg zur Arbeit zum Beispiel — und der Tag beginnt ganz anders!«
France Brifaut, die seit 1970 freiberuflich unter anderem auch für den Bayerischen Rundfunk schreibt, hörte »les histoires de Pierre Bellemare« und kam immer mehr zu der Überzeugung, daß sie den deutschen Hörern genauso gefallen würden. Eine neue Rundfunkserie war geboren: die »Unglaublichen Geschichten« — jeden Freitag um 15 Uhr im ersten Programm des Bayerischen Rundfunks. Auch wir hatten Erfolg mit dem ersten Band aus dieser Reihe: »Der Mann, der nicht zu hängen war«, und wir hoffen, die Leser genauso zu erfreuen mit dem zweiten Band: »Ein Alptraum für fünf Dollar«. Es geht nicht um Börsenkrach und Aktienverfall — es ist noch viel schlimmer, doch lesen Sie selbst...
München, im März 1988
Das blutrote Automobil von Sarajewo
28. Juni 1914. Sarajewo.
Damals schon eine sehr hübsche Stadt am Fuße der Berge. Eine serbische Stadt. Von Jugoslawien war noch nicht die Rede.
In den frühen Morgenstunden dieses strahlend schönen Sommertages weiß die Welt noch nicht, welch ein Drama sich hier und heute abspielen wird. Viele befürchten es sicherlich, hoffen aber, daß der offizielle Besuch des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand von Habsburg und seiner Gemahlin, der Herzogin von Hohenberg, geborene Gräfin Sophie Chotek, doch ohne ernstere Zwischenfälle ablaufen wird.
Die Beziehungen zwischen Österreich und Serbien sind äußerst gespannt — und dieser hohe Besuch soll ein letzter Versuch sein, die Lage zu entschärfen.
Keine feierliche, eher eine beklemmende Stimmung herrscht in der Stadt, als das offene blutrote Automobil des Thronfolgerpaares durch die Straßen fährt.
Das erste Attentat findet bereits um 10 Uhr vormittags statt — verfehlt aber sein Ziel. Erst einige Stunden später treffen die Kugeln des serbischen Studenten Gavrilo Princip die Kaiserlichen Hoheiten tödlich.
Das Attentat von Sarajewo hat leider Geschichte gemacht: Es ist der direkte Anlaß zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gewesen.
Der eigentliche »Held« unserer Geschichte steht damals in allen Zeitungen, auf allen Photographien und Zeichnungen im Mittelpunkt. Doch niemand achtet auf ihn! Es ist ja nur... ein »Ding«, und wer hätte schon vorausahnen können, auf wie unglaubliche Weise es Schicksal spielen wird!?
Das Merkwürdigste am Attentat von Sarajewo ist nämlich die fatale Bestimmung des herzoglichen Gefährts — ein prachtvolles, sechssitziges Automobil — eigens für diesen Staatsbesuch angefertigt: der blutrote »Torpedo« von Sarajewo.
2. November 1914. Vor drei Monaten hat der Krieg begonnen. Die österreichischen Truppen sind sofort in Serbien einmarschiert und haben Sarajewo besetzt. Hermann von Landorf, dreißig Jahre alt und Generalstabsoffizier, trägt seine Uniform mit lässiger Eleganz und stolziert damit
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