Das Liebesspiel - Tripp, D: Liebesspiel
beeinträchtigte, dass ihm Vietnam erspart blieb.
Er verließ die Stadt nie. Trieb sich hier rum, blieb hier hängen. Und Ada war stets härter zu ihm als zu den anderen, sagte oft: »Dieser Huck, der ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, genauso engstirnig, wie sein Vater war, genauso trotzig.«
Wenn sie das sagt, wirft sie mir so einen Blick zu, einen irgendwie zweifelnden Blick, als würde sie versuchen, meine Gedanken zu lesen, als würde sie sehen wollen, wie ich reagieren werde, ob ich einverstanden bin.
Ich lege S und T links und rechts an das Ä von T-R-Ä-N-E .
»Geht das schon wieder los?«, bemerkt sie. »Willst du diese Ecke auch noch zubauen?«
»Ich tue, was ich kann«, sage ich lachend. »Du bist dran.«
Man lernt gewisse Dinge, wenn man dieses Spiel öfter spielt.
Beispielsweise lernt man, dass es für manche Buchstaben mehr als eine Möglichkeit gibt.
Nebel. Leben.
Krater. Karrte.
Dose. Sode.
Die sind offensichtlich.
Es gibt andere, auf die man vielleicht nicht so schnell kommt.
Natter. Traten.
Teile. Leite. Elite.
Echsen. Eschen. Schnee.
Als ich einmal im Wartezimmer eines Arztes saß, nahm ich eine Zeitschrift zur Hand und las etwas über einen Brand, der Anfang der Sechziger in einer kleinen Bergbaustadt in Pennsylvania ausgebrochen war, als in der Grube eines verlassenen Tagebaus Müll verbrannt wurde und sich ein freiliegendes Kohlenflöz entzündete. An der Oberfläche schlugen Flammen heraus und wurden gelöscht, man glaubte, das Feuer sei erstickt, doch es setzte sich fort, machte sich selbstständig und brannte jahrzehntelang unter der Erde weiter.
Als ich das las, dachte ich an Adas mittleren Sohn.
In schönen Sommernächten sehen Carl und ich ihn manchmal, Huck, dann parkt er unten am East Beach seinen F 150 rückwärts vor diesem Wall aus Pflastersteinen, die die Autobahnmeisterei zu unbefestigten Wellenbrechern aufwirft, damit das Meer die Straße nicht unterspült. Dort sitzt er im Wagen, stundenlang. Huck, ganz allein, dieses Seltsame, Wilde, Nichtgreifbare an ihm, das man nicht lange genug zu fassen bekommt, um es zu benennen. Er fährt mit einem Liegestuhl auf der Ladefläche seines Pick-ups herum, und in dem Stuhl sitzt er dann, Blick auf das Meer, schnitzt an einem Stück Kiefer, trinkt sich durch eine Sechserpackung Fanta und befreit die Form irgendeines Wesens aus der Härte des Holzes, macht Späne daraus.
»Ich denke, es war ein bisschen ungeschickt«, überlegt Ada jetzt, »dass ich das mit Ray zu ihm gesagt habe.« Sie setzt einen Buchstaben auf ihrem Bänkchen um, neben zwei andere. »Ray war in letzter Zeit auch nicht richtig zu gebrauchen – ganz geknickt wegen deiner Tochter.«
Sie sagt das und mir fällt ein, dass ich es ihr noch nicht erzählt habe. Das von gestern, was geschah, als Ray vorbeikam. Ich möchte es ihr sagen. Ich bin kurz davor. Dann halte ich mich zurück. Sie wird nur spotten – irgendetwas Abfälliges sagen.
Es war gestern Vormittag. Carl war gerade von der Kontrolle der Fallen zurückgekommen. Marne war schon auf, früh für ihre Verhältnisse, hantierte mit einer Fertigbrotmischung herum, dann setzte sie sich auf ebenjenen Stuhl am Tisch, wo sie früher immer gehockt und ihr Zitroneneis gegessen hatte. Als sie klein war, liebte sie Zitroneneis. Sie kniete sich auf den Stuhl, arbeitete sich mit drei oder vier von diesen kleinen Babylöffeln durch einen Becher und hinterließ ein klebriges Chaos in der Ecke des Tisches. Ich wunderte mich immer, dass ein Mensch, der selbst so klein ist, so viele kleine Löffel braucht.
Es kann hart sein, ein Kind wie Marne zu haben. Ein Kind, aus dem man nie so recht schlau wird. Versunken in ihrer eigenen dunklen Wolke, fuhrwerkt sie vor sich hin. Sie ist ganz anders als Alex. War sie schon immer. Mit Alex war alles leicht. Als Baby weinte er und ich konnte ihn beruhigen. Bei Alex wusste ich immer, was ich zu tun hatte.
Gestern Vormittag in der Küche musste ich daran denken. Ich dachte an diese Papiervögel, die Marne die ganze Zeit bastelt, das ist fast schon ein Zwang bei ihr – dieses Bedürfnis –, ich habe ihr dabei zugesehen, wie sie dieses scharfe Werkzeug aufs Papier setzt, eine Falte macht, hart, präzise, ihre starken Finger drehen ein leuchtend buntes Papierviereck. Wenn man ihre Hände beobachtet, hat man das Gefühl, sie sei kurz davor, alles zu zerreißen – erstaunlich dann zu sehen, wie sie ein Wesen von unglaublicher Eleganz entstehen lassen kann.
Gestern
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