Das Mädchen und der Zauberer
oder soll ich Sie beraten? Es gibt so viele schöne Inseln in der Karibik …«
»Da gebe ich Ihnen recht«, sagte der Franzose.
»An welche Insel hatten Sie gedacht?«
»Martinique.«
»Eine der schönsten! Madinina, haben die Indianer sie genannt. ›Insel der Blumen‹ heißt das.«
»Grandios! Das habe nicht mal ich gewußt! Sie kennen Martinique?«
»Nein. Aber ich habe für Sie ein umfangreiches Informationsmaterial.«
»Kein Foto, kein Wort kann die Insel so beschreiben, wie sie wirklich ist. Sie sollten Martinique erleben …«
Schon wieder so einer, dachte Petra und wurde sehr förmlich. Vorgestern sollte sie mit nach Hawaii. »Ich weiß nicht, was sich die Männer so denken« – hatte sie zu einer ihrer Kolleginnen gesagt. »Sehen wir denn so aus, als seien wir eine Beilage zur Fahrkarte?!« Sie sah den Kunden abweisend an und zog eine Schublade aus dem großen Wandschrank. Buchstabe L und M. Mustergültig geordnet lagen hier alle Prospekte über Martinique. »Sie haben sich für Martinique entschieden?«
»Es gab gar keine andere Wahl. Seit achtunddreißig Jahren …«
»Wie bitte?« Petra schob die Lade mit einem Ruck zu. »Ich verstehe nicht –«
»René Birot. Ich heiße René Birot.« Der merkwürdige Kunde machte wieder eine kleine Verneigung und hob sich ein wenig aus dem Stuhl. Dann saß er wieder und lächelte Petra sonnig an. »Mein schönes Schicksal war es, auf Martinique geboren zu werden. Es heißt, die schönsten Mädchen der Karibischen Inseln gedeihen auf Martinique. Mit mir ist der Beweis angetreten, daß es dort auch schöne Männer gibt.«
»Sie finden das witzig, was?« sagte Petra etwas schnippisch.
»Nein, nur ausgesprochen ehrlich.« René Birot lehnte sich etwas zurück. Er sieht wirklich gut aus, dachte Petra Herwarth widerwillig. Er weiß das genau und badet sich in seiner Eitelkeit. So etwas habe ich gern wie Rollmöpse! Petra mochte von Kindheit an keine Rollmöpse. Warum, das konnte sie nicht erklären. Es mußte mit ihrem Onkel Franz zusammenhängen, der sie großgezogen hatte, nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall auf der Autobahn bei Köln ums Leben gekommen waren. Onkel Franz trank jeden Abend Bier, und wenn er einen Rollmops dazu aß, rülpste er jedesmal mit großer Hingabe. Das setzte sich bei ihr fest, und deshalb haßte sie Rollmöpse. Aber, dieser René Birot sah wirklich gut aus!
»Was möchten Sie nun von uns?« fragte Petra steif. »Eine Flugkarte zurück nach Martinique?«
»Habe ich.«
»Eine Umbuchung?«
»Aber nein. Ich fliege in vierunddreißig Tagen. Das ist sicher. Ich habe auf Martinique eine kleine, aber gutgehende Konservenfabrik. Ananas und Tomaten, rosa Krabben und eine Spezialität: Chatroux. Das ist ein Ragout von kleinen Tintenfischen mit großen roten Bohnen. Eine karibische Köstlichkeit.«
»Eine Ferkelei!« sagte Petra ehrlich.
»Ich bin in Deutschland, um mit einigen Importeuren zu sprechen. Ich will meine Konserven hier einführen.«
»Wer soll hier kleine Tintenfische mit großen roten Bohnen essen?«
»Ich rechne mir Chancen aus.« René Birot lächelte entwaffnend. »Ich habe gelesen, die Feinschmecker in Deutschland essen sogar fritierte Ameisen. Wenn man sie aus der Friteuse holt, sehen sie aus wie Kaviar, nur knacken sie beim Draufbeißen. Da habe ich mir gedacht: René, da kann dein Chatroux auch große Chancen haben. Karibischer Zauber auf den Tisch … ist das kein guter Werbeslogan?«
»Und was wollen Sie damit hier in einem Reisebüro?« fragte Petra abweisend. René Birot begann, ihr unangenehm zu werden. Er sah nicht nur gut aus, er hatte auch einen umwerfenden Charme, eine schöne, tiefe Stimme und ein Lächeln, das unter die Haut ging. Es war unbedingt notwendig, ihn schnell loszuwerden. »Wir verkaufen Reisen, keine Büchsen.«
»Das ist eine ganz verrückte Sache.« René Birot zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Ich wohne da drüben im Hotel Atlantic. Bevor die Verhandlungen beginnen, nimm noch ein paar Atemzüge Alsterluft, habe ich mir gesagt. Ich gehe also à la Promenade, komme an einem Schaufenster vorbei, blicke hinein, sehe dort hinter dem Glas ein Mädchen mit langen blonden Haaren sitzen, ausgerechnet vor einem Plakat, das mein schönes Martinique zeigt – wenn das kein Wink des Schicksals ist! – und es treibt mich in das Geschäft. Geh hinein, sage ich mir, und frage sie mal, was sie von Martinique weiß, wenn sie Reisen nach Martinique verkauft. Was erzählt sie ihren Kunden
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