Das Mädchen und der Zauberer
Galgen, der außerhalb des Kreises gestanden hatte, nahm die Puppe, die Petra darstellen sollte, von der Leine, trat an die Klippe heran und warf die Puppe hinein in die kochende Gischt. Mit einem Ruck drehte sie sich dann um und kam zu Coulbet zurück.
»Wohin bringen Sie mich, Monsieur le Commissaire?« fragte sie. »Ins Gefängnis?«
»Was willst du im Gefängnis, Josephine? Was hast du denn getan?«
Sie sah ihn groß an, strich dann ihre langen nassen Haare zurück und nickte. »Wohin dann?«
»Wo du hinwillst.«
»Bringen Sie mich nach Macouba, Monsieur. Dort war ich als Kind glücklich. Ich will in Macouba bleiben. Dort lebt noch eine Tante.«
»Und René?« fragte Coulbet vorsichtig.
»Wer ist René?« Sie sah mit einem leeren Blick durch ihn hindurch. »Gab es da einmal einen René, Monsieur?«
Vier Stunden später rief Coulbet bei Birot an. Petra und René saßen im Salon, die Türen waren verschlossen, die Holzläden zur Terrasse zugeklappt und gesichert. Auf den Knien hatte Birot ein modernes Schnellfeuergewehr liegen. Als das Telefon schrillte, stieß Petra einen leisen Schrei aus. Alles konnte eine Gefahr sein, auch ein klingelndes Telefon.
»Ja?« sagte René knapp, ohne seinen Namen zu nennen.
»Hier Robert.«
»Robert!« Es war ein Aufschrei. »Wo bist du? Was hast du erreicht? Ich habe aus dem Haus eine Festung gemacht, wir sind auf alles vorbereitet. Stell dir vor: Babou ist spurlos verschwunden.«
»Der sitzt noch in Tartane. Ich habe ihn mitgenommen …«
»Du hast ihn …«
»Erklärungen später, mein Lieber. Babou ist in ein paar Stunden wieder bei euch.« Coulbet räusperte sich. »Hast du Champagner im Haus?!«
»Natürlich. An was anderes kannst du wohl jetzt nicht denken.«
»Geh in die Küche, hol drei Gläser und eine Flasche, laß den Korken knallen und trinkt sie aus. Das dritte Glas ist für mich, das kannst du mittrinken. Ich bin in Macouba. Es ist alles in Ordnung.«
»Was … was heißt das?« fragte Birot heiser.
»Reiß Fenster und Türen auf, laß die Abendluft ins Zimmer und umarme deine süße, kleine Frau. Und da es Vollmond ist, sind Verliebte sowieso unzurechnungsfähig. – Hast du was gesagt, René?«
»Nein, nichts.« Birot schluckte mehrmals. »Was ist passiert?«
»Später. Nun haben wir Zeit, viel Zeit, bis zum Lebensende. Ich freue mich ja so auf eure Hochzeit in der Kirche von St. Pierre.« Coulbets Stimme klang wie die eines großen Jungen. »Darf ich morgen zum Abendessen kommen? Aber nur, wenn es deinen berühmten Spießbraten gibt!«
»Es gibt ihn! Du verdammter Gauner im Polizistenrock!«
René legte sein Gewehr weg, nahm Petra in seine Arme und küßte sie. Dann lief er zu den Holzläden, klappte sie auf, stieß die Türen zur Terrasse auf und zog Petra hinaus in den Garten. Der Mond hing dick über Martinique, genauso, wie man ihn auf den bunten Ansichtskarten sieht und ihn schrecklich kitschig findet.
»Was hat Robert gesagt?« fragte Petra und lehnte den Kopf an Renés Schulter.
»Er hat unser Paradies gerettet. Mehr weiß ich auch nicht. Ja, und er kommt morgen abend zum Spießbratenessen.«
»Und Josephine?«
»Ich glaube, wir werden nie mehr von ihr hören.« Er drückte sie an sich und küßte ihr Haar. »Hast du einen ganz großen Wunsch?«
»Ja.« Ihre Stimme klang so fest und voll Mut, daß er sie erstaunt ansah. »Ich möchte in dieses Land hineinwachsen, René, und beweisen, daß ich zu ihm gehöre und ein Teil von ihm werde. Es ist so schön, dieses Land, weil es dich gibt.«
Und sie standen Arm in Arm in der milchigen Dunkelheit der Nacht und sahen zu, wie der Mond über Meer und Berge wanderte.
Weitere Kostenlose Bücher