Das magische Buch
meiner Familie und Lucía dafür danke, dass sie mir geholfen haben. Ohne sie hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft.«
Alle lachen erleichtert. Julio Cortés ahnt nicht, wie nah er der Wahrheit gekommen ist. Übrigens haben Lucía und ich beschlossen, zusammen ein Buch zu schreiben. Ich meine, ein eigenes Buch, von uns selbst ausgedacht. Klar, das wird noch eine ganze Weile dauern, aber wir werden es versuchen. Jawohl, wir werden es versuchen!
»Ich muss dann mal nach Hause«, sagt Lucía.
»Warte … Darf ich sie nach unten bringen?«, frage ich.
»Natürlich«, antwortet Mama, die jetzt offensichtlich bei uns das Sagen hat. »Aber halte sie nicht zu lange auf! Es ist schon spät, ihre Mutter wird sich bestimmt Sorgen machen.«
Wir verabschieden uns und laufen die Treppe hinunter. Doch vorher hole ich noch schnell das Buch über Attila aus meinem Zimmer.
Unten frage ich Lucía:
»Soll ich dir noch schnell was vorlesen?«
»Aus dem Buch da?«
»Ja, hör zu …
Attila, der König der Hunnen, hatte mit seinen unbesiegbaren Reitern halb Europa verwüstet und schickte sich nun an, Rom zu erobern. Er stand vor den Toren der Stadt und bereitete den Angriff vor, als ein berittener Bote ihm eine Botschaft überbrachte: Papst Leo I. wollte sich mit ihm treffen!
Attila lachte über das Ansinnen. Wollte der Papst ihn vielleicht darum bitten, sein Leben zu verschonen? Wenn Leo I., so dachte er, vor ihm auf die Knie fallen würde, würden sich die Adligen der Stadt ohne Widerstand ergeben. Also nahm er das Angebot an.
Das Treffen sollte vor den Toren der Stadt stattfinden, vor aller Augen. Nur sie beide, ohne bewaffnete Soldaten, außerhalb der Reichweite der Bogenschützen. Leo I. musste schwören, dass er keine Waffen bei sich tragen und nichts gegen den großen Attila unternehmen würde.
›Sollten wir während unserer Unterhaltung angegriffen werden, macht ihr die Stadt dem Erdboden gleich, verstanden?‹, befahl der Hunnenkönig seinen Generälen. ›Kein Stein soll auf dem anderen bleiben!‹
Attila war ein zutiefst misstrauischer Mensch und konnte sich nicht vorstellen, dass Leo I. lediglich mit ihm sprechen wollte.
Und so trafen sich Attila, der mächtige Hunnenkönig, und Leo I., der höchste Würdenträger Roms, auf freiem Feld vor den erstaunten Augen der Soldaten beider Seiten.
Niemand weiß, worüber die beiden miteinander sprachen, denn die nächste Person stand einige Meter von ihnen entfernt, sodass niemand ihre Worte hören konnte. Das Treffen dauerte mehrere Stunden. Man weiß nur, dass Attila den Papst reden ließ, ohne ihn zu unterbrechen. Als die Sonne am Horizont unterging und noch bevor die Nacht über die Ebene vor den Toren Roms hereinbrach, trennten sich die beiden Männer in aller Freundschaft.
Am nächsten Morgen zogen sich Attilas Truppen zurück, ohne die Stadt angegriffen zu haben. Rom war gerettet!
Die Worte des Papstes Leo I. waren so tief in das Herz des barbarischen Kriegers gedrungen, dass er nichts anderes tun konnte, als sich friedlich zurückzuziehen. Einige sagen, es sei ein Wunder gewesen, andere sind der Meinung, das Wissen habe über die Unwissenheit gesiegt. «
»Mein Gott, was für eine Geschichte!«, ruft Lucía.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, sage ich. »Wenn einem so was erzählt würde, würde man’s nicht glauben. Aber es ist tatsächlich geschehen! Unglaublich!«
»Ich hätte nie gedacht, dass die Geschichte von Scroom und Hanna auf einer historischen Tatsache beruht.«
»Also, dieser Leo I.! Was muss er Attila gesagt haben, dass der Hunne Rom nicht angegriffen hat?«
»Worte, César, Worte! Die Macht der Worte«, erklärt Lucía voller Bewunderung. »Begreifst du jetzt, wie wichtig Schriftsteller sind?«
Ja, langsam fange ich an, meinen Vater zu verstehen. Was ich von ihm lernen kann, ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Javier hat recht: Ich habe eine lange Leitung.
»Also, ich gehe dann … Wir sehen uns morgen in der Schule«, sagt Lucía.
Ich sehe ihr nach. Mir wird klar, dass sie sehr wichtig für mich geworden ist. Sie ist ein schlaues und mutiges Mädchen. Wenn ich daran denke, wie ich sie vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe … Ich habe sie für blöd und nervig und hässlich gehalten!
Jetzt weiß ich, dass Menschen wie Bücher sind: unsichtbar, bis man sie besser kennt. In jedem Menschen steckt etwas Großes, wir müssen nur lernen, es zu entdecken.
Als ich in unsere Wohnung zurückkomme, klingelt das Telefon.
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