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Richtig verbunden

Richtig verbunden

Titel: Richtig verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Grey
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Richtig verbunden
    »Hallo, hier ist Chantal. Schön, dass du anrufst«, raunte Christina in den Hörer.
    »Äh, hallo«, sagte eine Frau am anderen Ende.
    Christina runzelte die Stirn. Frauen riefen selten an. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Irgendwie war ihr das sogar lieber, weil Frauen selten obszön wurden, die Gespräche in der Regel länger dauerten und somit mehr einbrachten. Zumindest war das bei den drei Anrufen von Frauen der Fall gewesen, die sie in den vier Monaten ihrer Tätigkeit bekommen hatte. »Du rufst genau richtig an. Ich zieh mich gerade aus, um ein heißes Bad zu nehmen.« Christina ließ ihre Stimme klingen, als würde sie der Anruferin ein Geheimnis verraten. »Willst du mitkommen?«
    »Wäre es in Ordnung, wenn wir … wenn wir einfach nur sprechen?«
    Die Frau am anderen Ende schien nicht wirklich erregt zu sein. Tatsächlich hatte Christina das Gefühl, dass diese Anruferin kein bisschen an ihrem ›Service‹ interessiert war. Doch warum rief sie dann um zwei Uhr nachts bei einer Telefonsexhotline an? »Baby, du kannst mit mir machen, was immer du willst.« Bei diesem Satz und mit dieser tiefen Stimme wurden die Männer, die bei ihr anriefen, immer ganz erregt. Wenn sie es nicht ohnehin schon waren.
    »Ich möchte nichts mit dir machen. Aber ich würde dir gerne von meinem Tag erzählen.«
    Christina hob die Augenbrauen. Dieses Spiel kannte sie bisher nicht. Ach, warum eigentlich nicht . »Wie ist dein Name?« Christina sprach immer noch so sexy und verführerisch, wie sie konnte.
    »Linda.« Die Stimme der Anruferin klang jung.
    »Okay, Linda, erzähl mir von deinem Tag, Süße.«
    Ein Seufzen drang durch den Telefonhörer. »Heute war mein Geburtstag. Na ja, mehr gestern eigentlich.«
    »Na, dann herzlichen Glückwunsch.« Es war nicht das erste Mal, dass Anrufer erzählten, Geburtstag zu haben, in der irrigen Annahme, in dem Fall nicht bezahlen zu müssen. Aber so naiv waren Männer. Frauen eher nicht.
    »Danke. Ich … ich bin neunundzwanzig geworden.«
    Christina grinste. Ihr Gehör hatte sie nicht getäuscht. Die Anruferin war jung. Obwohl sie jünger klang, als sie tatsächlich war. Wenn sie überhaupt die Wahrheit sagte. Wer weiß das schon? Eigentlich war es ja auch egal. Ob zwanzig oder achtzig Jahre alt, am Geburtstag oder dem goldenen Hochzeitstag wie der Kunde gestern, sie brachten alle Geld ein, solange Christina sie nur lang genug am Telefon halten konnte. »Und? Hast du schön gefeiert?«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis eine Antwort kam. Mit leiser Stimme sagte Linda schließlich: »Ich war den ganzen Tag auf dem Friedhof. Zu Hause wollte ich mich dann betrinken, hab aber letztendlich meine Meinung geändert und stattdessen den ganzen Abend die Wohnzimmerwand angestarrt.«
    Wow, diese Frau schien echt Probleme zu haben. Aber warum rief sie bei einer Sexhotline an statt zu einem Seelenklempner zu gehen? Christina schüttelte den Kopf. Jede Minute brachte ihr zwei Euro, also konnte sie dafür auch Telefonseelsorgerin spielen. »Warum warst du auf dem Friedhof?« Christina erlaubte sich jetzt, mit ihrer normalen Stimme zu sprechen. Diese Anruferin, Linda, wenn das denn ihr richtiger Name war, interessierte sich definitiv nicht für Telefonsex. Oder wenn doch, dann für eine wirklich perverse Variante.
    »Meine Eltern liegen da. Sie … sie starben heute, äh, gestern vor vier Jahren. Sie wollten mich an meinem Geburtstag besuchen.« Linda holte tief Luft. »Ein LKW-Fahrer ist auf der Autobahn eingeschlafen und in ein Stauende gerast. Genau da, wo meine Eltern mit ihrem Wagen waren.« Nach einer Pause redete sie weiter: »Sie hatten keine Chance.«
    Christina vermied es, sich vorzustellen, wie sich die Frau am anderen Ende der Leitung jetzt wohl fühlte. In ihrem Job hatte sie gelernt, Gefühle aus dem Spiel zu lassen. »Das tut mir sehr leid.«
    Es kam keine Antwort.
    »Hast du Geschwister?«
    »Nein.« Nach einem leisen Schluchzen ergänzte Linda: »Es gab bloß sie und mich.«
    Es war sicher ein Fehler, so direkt zu fragen, aber Christinas Neugier war zu groß. »Linda, warum bist du heute allein?«
    »Weil ich niemanden habe.« Die Stimme der Anruferin brach.
    Scheiße! Weint sie? Christina presste die Lippen aufeinander. Wie sollte sie darauf reagieren? Sie machte Telefonsex, verdammt. Nicht mal ihre Schwestern erzählten Christina ihre Sorgen, weil sie meinten, sie sei unsensibel. »Hey, Linda. Wein nicht. Alles wird gut.«
    Linda schnäuzte sich die Nase.

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