Das magische Buch
Außerdem – ihr wisst doch, dass es Unglück bringt, wenn man den Inhalt eines Buches erzählt, während es geschrieben wird, oder?«
»Ja, ja, natürlich. Wir gehen ja schon. Vielen Dank, dass Sie uns das erste Kapitel vorgelesen haben, Señor Durango«, sagt Lucía. »Es ist total spannend. Ich möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht.«
Als wir hinausgehen, höre ich, wie mein Vater zu Mama sagt:
»Blanca, ich habe das Telefon klingeln hören … War es Julio?«
»Ja, aber mach dir keine Gedanken. Ich habe ihm gesagt, dass du mit den Kindern unterwegs bist und ihn morgen anrufst.«
»Ich muss ihm unbedingt sagen, dass …«
»Nein, das werde ich ihm erzählen«, widerspricht Mama. »Ich rufe ihn an. Du musst dich ausruhen.«
Ich bringe Lucía hinaus. Sie ist sehr besorgt.
»Hör mal, César … Wir müssen etwas tun, damit dein Vater wieder gesund wird.«
»Was können wir denn tun?«
»Keine Ahnung, irgendwas. Es geht ihm nicht gut. Deine Mutter hat mir gesagt, dass sie sich große Sorgen macht.«
Seltsam! Alle scheinen etwas zu wissen, was ich nicht weiß. Mir hat Mama nichts gesagt. Ich habe das Gefühl, dass ich mal wieder nichts mitkriege.
»Hat dir der Anfang der Geschichte gefallen?«, fragt mich Lucía.
»Ja, doch. Ich glaube, es könnte ganz interessant werden«, antworte ich. »Es ist nicht schlecht.«
»Nicht schlecht?«, ruft sie entrüstet. »Bist du sicher, dass du dich überhaupt für Bücher interessierst?«
»Ich lese sehr viel, das habe ich dir doch schon tausendmal gesagt!«
»Und ich hab dir gesagt, dass es nicht darum geht, viel zu lesen, sondern richtig.«
»Ja, ja, schon gut … Wir sehen uns morgen in der Schule.«
»Ja, bis morgen.«
Gerade als Lucía geht, kommt mein Bruder Javier nach Hause.
»Was macht die denn hier?«, fragt er.
»Nichts, sie hat nur Papa besucht. Er hat uns ein paar Seiten aus seinem neuen Buch vorgelesen.«
»Hat er denn schon was geschrieben?«
»Ja, ein Kapitel.«
»Das ist ja super! Ich wusste doch, Papa ist sehr stark.«
Schweigend gehen wir in die Wohnung. Ich habe keine Lust, darüber zu reden. Vielleicht hat Javier ja recht, und wir können aufatmen. Wenn Papa in der Lage war, ein ganzes Kapitel zu schreiben, dann schafft er den Rest in einem Rutsch … Ganz bestimmt!
4
M an sollte alle Bücher verbrennen!«
Das war schon wieder Sansón. Er hat es in der Klasse gesagt, vor uns allen. Und niemand hat gewagt, ihm zu widersprechen. Sansón ist wie ein wütender Stier, man muss schon sehr mutig sein, um es mit ihm aufzunehmen.
Die Lehrerin starrt ihn verblüfft an.
»Von wem hast du das?«, fragt sie.
»Von niemandem, das muss mir keiner beibringen«, gibt er zurück. »Schließlich sind Bücher ja aus Papier, damit sie besser brennen.«
»Das ist dummes Zeug«, sagt die Lehrerin. »Bücher sind aus Papier, weil sie dann wenig wiegen, leicht zu transportieren sind und sich angenehm anfühlen. Außerdem kann man Papier gut bedrucken, und so sind sie gut lesbar.«
»Leute, die Bücher lesen, sind nicht ganz richtig im Kopf«, beharrt Sansón.
»Leser sind sehr klar im Kopf!«, schreit Lucía ihn an und springt auf. »Und je mehr wir lesen, desto klarer werden wir!«
Alle sehen jetzt Lucía an. Vor allem Sansón. Er mustert sie gehässig, ja, feindselig. Da hat sich Lucía ja auf was Schönes eingelassen! Ich glaube, das steht sie nicht durch. Und ich auch nicht.
»Was redest du denn da?«, fragt Sansón. Er sieht sie an, als wolle er sie fressen.
»Leser sind nicht verrückt! Und sag nie wieder, dass man Bücher verbrennen soll!«
»Klar, du willst ja auch Schriftstellerin werden«, lacht Lorenzo, der sich inzwischen mit Sansón angefreundet hat. »Deswegen verteidigst du Leute, die Bücher lesen. Du hast ja was davon.«
»Ich verteidige sie, weil Bücherlesen das Beste ist, was man machen kann.«
»Nein, Sport ist besser«, widerspricht jemand aus den hinteren Reihen.
»Und Kino? Ist es nicht besser, ins Kino zu gehen, als Sport zu machen?«, fragt Candela, Lucías Freundin.
»Alles ist besser, als Bücher zu lesen«, stellt Sansón mit seiner rotzfrechen Stimme fest. »Lesen ist das Letzte! Es ist stinklangweilig!«
»Moment! Hört mir mal zu!«, ruft Señorita Clara. »Ich glaube, ich habe eine Idee.«
Sofort herrscht Ruhe. Es ist das erste Mal, dass unsere Lehrerin eine Idee hat. Wir sind gespannt. Es soll ja vorkommen, dass Lehrer gute Ideen haben.
»Wir setzen einen Lesepreis aus«, verkündet sie. »Am Ende
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