Der Domino-Killer
KAPITEL 1
Mit bloßen Händen in der Erde zu graben hatte etwas ausgesprochen Befriedigendes. Meine Gartenhandschuhe waren durchweicht, also hatte ich sie auf dem rissigen Zement neben dem Holzfass abgelegt, in das ich die orangenfarbenen Begonien pflanzte. Im Spätsommer würden die sechs Pflanzen dreimal so groß sein wie jetzt und leuchtende wachsartige Blütendolden über den Rand des Fasses quellen. Den Blumen geduldig beim Wachsen zuzuschauen und mich an ihrer Schönheit zu erfreuen, war einer von Millionen Aspekten meiner Therapie, andererseits gehörte alles, was ich dieser Tage tat, zu meiner Genesung. So sprach «Einmal-die-Woche-Joyce», wie ich meine Therapeutin heimlich getauft hatte, wobei mir wie schon Hunderte Male zuvor mit einem inneren Lächeln einfiel, dass sie bei unserer ersten Sitzung bewusst noch einmal darauf hingewiesen hatte, dass das Wort Joy – Freude – in ihrem Namen enthalten sei. Damals lächelte ich zum ersten Mal seit Monaten, was sie damit natürlich hatte erreichen wollen.
Ich hatte den gesamten Vormittag draußen im Garten hinterm Haus verbracht und füllte nun die Blumentöpfe auf der Vorderseite mit den letzten der zwölf Paletten Frühlingsblumen, die ich am Nachmittag zuvor aus der Gärtnerei geholt hatte. Ein Brett vom Fass war im Winter verfault und wölbte sich vor. Ich hatte nicht die Absicht, meinen neuen Vermieter damit zu behelligen; im kommenden Frühling konnte ich von meinem eigenen Geld ein neues kaufen. Ich klopfte die Erde fest, bemerkte, dass jeder meiner abgekauten Fingernägel schwarz vor Schmutz war, und wischte mir die Hände vorn an der Jeans ab. Hier draußen war es heiß. Ich wurde auf einmal durstig, und vor meinem inneren Auge erschien das verlockende Bild eines süßen Tees mit Eiswürfeln darin. Das kühle abgedunkelte Innere meiner Einzimmerwohnung im Erdgeschoss rief nach mir. Ich bückte mich und griff nach meinen Handschuhen.
Ein verbeulter grauer Sedan hielt vor dem Backsteinhaus.
Ein Schwarzer mit einem roten Baseball-Cap drehte einen Song von Willie Nelson herunter und lehnte sich halb aus dem Wagenfenster. Jetzt bemerkte ich das Funkgerät auf dem Armaturenbrett und wusste, dass er von der Polizei war.
«Ich möchte zu Detective Karin Schaeffer.»
«Ich arbeite nicht mehr für die Polizei.»
Er ließ den Motor laufen und stieg langsam aus. Lächelte. Ich versuchte, an nichts anderes zu denken, als dass mir seine perfekt weißen Zähne gefielen.
«Billy Staples, Detective.»
Ich stand nur da. Ich war keineswegs erfreut, ihn kennenzulernen, und würde jetzt auch nichts dergleichen behaupten. Ich wollte ihn hier nicht, weil ich wusste, dass sie keine Hausbesuche machten, wenn es nur um Papierkram ging, und außerdem war mein Austritt aus der Truppe aus gesundheitlichen Gründen bereits abgesegnet und besiegelt. Persönlich kam die Polizei nur vorbei, wenn es schlechte Nachrichten gab.
«Ich habe gerade zu tun», sagte ich. Stand da in schmutzigen Jeans. In der Hand nasse Arbeitshandschuhe und einen dreckigen Spaten. Sah aus wie eine pensionierte alte Dame mit wahnsinnig viel Zeit, obwohl ich erst dreiunddreißig war.
«Okay, Karin, ich weiß, dass Sie lieber nichts mehr mit uns zu tun hätten. Das ist mir schon klar. Aber ich muss Ihnen etwas mitteilen.»
«Wie haben Sie mich gefunden?» Telefonbuch, Internet … Ich hatte dafür gesorgt, dass ich nirgendwo gelistet wurde.
«Na ja, zum einen haben Sie der Rentenabteilung Ihre neue Adresse mitgeteilt.»
Selbstverständlich hatte ich das; ich brauchte die Berufsunfähigkeitsrente, um meine Miete zu zahlen, weil ich beim Verkauf des Hauses nichts herausbekommen hatte.
«Stimmt», sagte ich. «Tut mir leid, ich bin nur etwas müde. Klar denken geht heute nicht.»
«Kann ich verstehen.»
Das hatte ich inzwischen so oft gehört: Kann ich verstehen. Also wusste er Bescheid. Alle wussten Bescheid. Man hatte ja der ganzen Welt die Geschichte von Karin Schaeffers Tragödie erzählt, um sich dann der nächsten großen Schauergeschichte zuzuwenden … nur ich konnte das natürlich nicht, ich war allein damit zurückgeblieben.
«Sie wissen, dass Sie einen Feind haben.» Klugerweise formulierte er das nicht als Frage. Selbstverständlich wusste ich, dass ich einen Feind hatte.
«Martin Price sitzt hinter Gittern», erklärte ich.
Die Medien hatten ihn den Domino-Killer getauft. In meiner Einheit nannten wir ihn JPP: Just Plain Psycho – einfach nur krank. Die Richterin nannte ihn die
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