Das mittlere Zimmer
und stieg wieder nach oben. Nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte, blickte sie noch ein paar Sekunden in die Dunkelheit hinab. Hing nicht die Andeutung eines bläulichen Lichtschimmers über dem Kellerboden? Rike schlug die Tür von außen zu und schloss sie ab.
„Na, was hältst du von der Sache?“ , wollte Achim aus seiner Ecke wissen und sah sie über die Schulter hinweg mit sorgenvoll gefurchter Stirn an.
„Der Keller ist mir unheimlich“ , erklärte sie kurz angebunden, faltete weiter Kartons zusammen und brachte sie in den Hauswirtschaftraum hinter der Küche, wo mittlerweile auch Waschmaschine, Trockner, Staubsauger, Bügelbrett und ähnliche Utensilien untergebracht waren.
Während Rike an jenem Tag im Kinderzimmer Hannahs Kleidung und Spielzeug in Schränke und Regale räumte, kratzte Achim Farbe von den Fliesen, brachte im Flur zwei Lampen an und mo ntierte im Schlafzimmer die Läden vom Giebelfenster ab, damit er sie in den nächsten Tagen streichen konnte. Am Abend, kurz nach halb elf, fielen sie beide todmüde in die Betten.
Den nächsten Morgen nutzten sie in ihrem warmen, gemütlichen Bett für ein weiteres ung estörtes Zusammensein.
Gegen halb zwölf fuhr der Wagen ihrer Eltern vor, und zwei Minuten später lagen sich Rike und Hannah in den Armen, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
„Na Prinzesschen, war’s schön bei Oma und Opa?“, fragte Achim, der jetzt auch aus dem Haus kam, Hannah in Empfang nahm und ihr einen Kuss auf die gerötete, wohlgerundete Wange drückte.
Selten hatte ein Vater weniger Grund gehabt, seine Vaterschaft anzuzweifeln: Ha nnah hatte die gleichen feinen, blonden Haare, die gleichen blauen Augen, die gleiche Form der Augenbrauen, die gleiche kurze Stupsnase wie ihr Vater. Fehlte nur noch die Brille. Aber vielleicht blieb ihr das erspart.
Jedenfalls riss sie ihrem Vater gerade wieder einmal das Gestell von der N ase, und Achim setzte Hannah auf dem Boden ab und nahm halb lachend, halb schimpfend die Brille an sich. Hannah wollte daraufhin ins neue Haus laufen, stolperte über die dicke, braune Kokosfußmatte, schlug sich ein Knie blutig und musste dann eine Viertelstunde lang von allen Anwesenden getröstet werden.
Nachdem der gröbste Schmerz vergessen war, setzte sich Rike mit all ihren Lieben an den großen Holztisch in der Küche und fühlte sich so wohl, dass sie fast wieder weinen musste. Wie die Hüterin von Haus, Hof und Kind, wie die Herrscherin über Schloss und Ländereien kam sie sich vor. Unwil lkürlich stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, und Achim, der ihr gegenüber saß, lächelte verliebt zurück. So glücklich hatte sie sich das letzte Mal vor vier Jahren gefühlt, als Achim um ihre Hand angehalten hatte.
„Kann ich bitte noch was von dem Fleisch haben“, hörte sie plötzlich ihren Vater fragen. Er schmunzelte amüsiert, nahm die Platte mit dem Fleisch entgegen und meinte: „Ihr solltet neben der Garage zwei Stellplätze für die Autos anlegen.“
„Das haben wir vor “, erwiderte Achim, löffelte sich noch ein paar Kroketten auf den Teller und schnitt sie in Stücke. „Aber wir sind im Moment ein bisschen knapp bei Kasse.“
„Ja, als nächstes ist erst mal der Gartenzaun dran“ , erklärte Rike. „Damit Hannah nicht weglaufen kann.“
Ihre Mutter, die wieder kaum etwas aß, warf ihr einen Blick zu, der nicht weit von verächtlich entfernt war. „Was habt ihr hier draußen? Dschungel?! Raubtiere?! Mä dchenhändler?!“
Rike sah, wie Achims Gesicht sich rötete. „Liebe Anette“ , begann er, die Stimme überfreundlich, der Blick angriffslustig, „manchmal klingst du unheimlich abgebrüht. Hast du im Golfkrieg mitgemacht?“
Bevor ihre Mutter jedoch antworten konnte, meldete sich Rikes Vater zu Wort: „Tut mir einen Gefallen und bleibt friedlich. Anettchen meint es nicht so. Ihr wisst schon, von w egen harter Schale und weicher Kern und so.“ Er lächelte säuerlich und fing dann an, mit einem Finger an dem Soßenfleck herumzureiben, mit dem er gerade seinen Pullover bekleckert hatte.
„Ich will doch gar nicht streiten“ , behauptete Achim und sagte schnell, bevor er den nächsten Bissen in den Mund schob: „Hier gibt es keine Raubtiere, aber hier fahren große, böse LKWs über die Straße. Und vor denen muss man kleine Mädchen beschützen.“
Rike schaute ihre Mutter an, die gänzlich unerwartet mit dem Kopf nickte und mu rmelte: „Da hast du vielleicht Recht“, und sich dann mit giftigem
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