Das Multiversum Omnibus
inneren Organe bewegten sich spürbar und strebten einen neuen Gleichgewichtszustand an. Und er schien immun gegen Sonnenbrand zu sein.
Aber es war ein komisches Gefühl, sich ohne den Druckanzug zu bewegen. Unbehaglich. Und das Gefühl der Offenheit, der Weite, war beängstigend. Nach den langen Reisen war Malenfant selbst ein Außerirdischer geworden, der sich auf seiner eigenen Welt nicht mehr zu Hause fühlte.
Es gab keinerlei Anzeichen von Menschen.
Malenfant bezog in der versengten Hülle der Kapsel ein Lager.
Er benutzte den Kugelhelm des alten NASA-Druckanzugs, um Wasser aus einem nicht weit entfernten Bach zu schöpfen. Er aß Feigen und Bananen. Falls er für längere Zeit hier festsaß, würde er im See fischen.
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Die Tage waren kurz und heiß, obwohl der blaue Himmel immer leicht wolkenverhangen war. Er steckte einen Ast in den Sand und sah, wie der Schatten mit den Stunden wanderte und sich verlängerte. Auf diese Art ermittelte er die Ortszeit und stellte die Astro-nautenuhr danach. Wenn er lang genug hier verweilte, würde er vielleicht die Tagundnachtgleiche finden und einen Kalender erstellen.
Die Sonnenuntergänge gerieten durch den hochfeinen Staub zu einem spektakulären Ereignis.
Die Nächte waren kalt, und er wickelte sich auf dem Strand in die Betacloth-Außenschichten des Druckanzugs. Er lag für lange Stunden wach und beobachtete einen veränderten Himmel.
Die Mondsichel glühte blau.
Die Kante der Sichel wurde von einem verwaschenen Lichtband gesäumt, das sich teilweise um die dunkle Hälfte des Trabanten zog. Um den Mondäquator spannte sich ein breites Band, das wie Wolken aussah. Auf der dunklen Seite leuchteten Lichterketten: Kleinere und größere Städte, die die Konturen verborgener Mond-kontinente nachzeichneten. Der Mond hatte ein Zwillingslicht, einen riesigen Spiegel, der ihn langsam umkreiste und die dunkle Hemisphäre in Licht tauchte, die sonst für vierzehn Tage im Dunklen gelegen hätte – wahrscheinlich lang genug, dass die wertvolle neue Luft ausgefroren wäre.
Und im Zentrum der verdunkelten Hemisphäre, auf die er schaute, befand sich ein greller leuchtender Punkt. Bei der Punktquelle handelte es sich um Erdlicht, das von den Meeren des Mondes zurückgeworfen wurde.
Selbst eine schmale Mondsichel erfüllte nun den Himmel mit Licht und blendete die Sterne und Planeten aus. Die Fauna der Er-de machte sich dieses neue Licht zunutze: Er hörte das Krächzen von Amphibien und das Knurren einer Art Katze. Ohne Zweifel 468
trug dieser veränderte Mond subtil zur Evolution mancher Spezies bei.
Der Mond war wunderschön und wundervoll, seine Umformung eine enorme Leistung. Aber für Malenfant war er genauso uner-reichbar wie vor tausend Jahren vor Apollo. Und selbst von hier aus sah Malenfant Raumschiffe der Gaijin über die Pole kreisen.
Als der Mond unterging und sein Licht erlosch, trat die ganze Fremdartigkeit des Himmels zutage.
Riesige grüne und goldene Objekte schwebten vor schwarzem Hintergrund: Bäume, gespenstische Schlieren aus lebendigem Grün und Blumen-Schiffe der Gaijin, deren offene Ansaug-Mäuler mit dem Gewirr aus silbrigen Strängen wie Libellen aussahen.
Eine Lichterkette spannte sich um die Ebene der Ekliptik. Die funkelnden Knoten und Haufen wirkten aus dem Orbit fast wie Straßenlaternen. Es handelte sich aber um Gaijin-Städte im Asteroidengürtel.
Die Form der Sternbilder war im wesentlichen unverändert, denn die langsame Drift der Sterne hatte sich im Lidschlag der Zeit, die er weggewesen war, nur unmerklich ausgewirkt. Ein heller junger Stern war in Kassiopeia zum Leben erwacht und hatte das markante ›W‹ dieser Konstellation in ein Zickzack-Muster verwandelt. Doch viele andere Sterne hatten sich eingetrübt, zu Rot oder gar einem gespenstischen Grün – oder sie waren ganz hinter dem Wall des Lebens verschwunden. Dies war die Signatur der Kolonisierungswelle, die über die Sternenstraßen der Galaxis rollte, ein System nach dem andern verzehrte und hierher unterwegs war.
Und in einem Abschnitt des Himmels, lose im altehrwürdigen Sternbild des Orion zentriert, flackerten Sterne, brannten aus und erloschen. Das war ein Anzeichen zielgerichteter Aktivität, die sich über viele Lichtjahre hinweg erstreckte. Er schauderte. Vielleicht war das der Krieg, vor dem er sich fürchtete und der bald über das Sonnensystem hereinbrechen würde.
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Im tiefsten Dunkel der Nacht machte er einen ebenso großen wie schönen Kometen
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