eine Elfenromanze
Prolog
Ametar, das war einst ein stolzes Reich. Es erstreckte sich vom Gebirge im Norden bis weit jenseits des Eniären-Stroms in der südlichen Ebene. Verschiedenste Rassen lebten in Frieden und Wohlstand unter der Herrschaft großer Könige der Menschen. Der Handel mit den Nachbarländern Nordthal und Merolien florierte. Es schien an nichts zu mangeln. Doch all dies ist lange vergangen.
Zehn Jahre sind verstrichen seit König Inghard, der letzte seines Geschlechts, ermordet wurde. Der Bürgerkrieg, der daraufhin ausbrach und in dem Fürsten, Generäle und Bandenführer versuchten, den Thron zu erobern, forderte viele Leben. Das zunehmend sinnlos erscheinende Abschlachten endete mit einem Abkommen der großen Adelsfamilien Ametars, in welchem diese das Land unter sich aufteilten. Friede und Ordnung schienen zurückgekehrt, zumindest ließ ein oberflächlicher Blick diesen Schluss zu. In Ametars gleichnamiger Hauptstadt wurde der Palast erneut Regierungssitz und die zerstörten Gebiete von Goldfurt am Großen Strom wurden nach und nach wieder besiedelt und aufgebaut. Der Handel lebte auf. Man tanzte und sang, zumindest tat dies der Adel. Auf zahllosen Festbanketten floss der Wein in Strömen – dies waren der Ort und die Zeit, wo Politik gemacht wurde, bei vollen Gläsern und gedeckten Tafeln unter kristallenen Kronleuchtern. Das Militär war aufgelöst. Grafschaften und Fürstenhäuser unterhielten ihre Privatarmeen, gebildet aus ehemaligen Soldaten und aus Söldnern. Sie waren es, die nun das Gesetz von Ametar vollstreckten, ein Gesetz, das der Adel nach Gutdünken und nicht selten bei zu viel Alkohol beschloss. Und der Arm des Gesetzes war so lang, wie ihr Interesse reichte, was sich zumeist auf die Stadt Ametar selbst, auf Goldfurt und auf die Anwesen der Adelshäuser beschränkte. Im Land ringsum, in den Bauerndörfern der Ebene und im Gebirge regierte das Recht des Stärkeren. So hatten viele Gemeinden ihre eigenen Gesetze, Miniaturkönigreiche von der Größe einiger Bauernhöfe inmitten dessen, was einst das stolze Reich von Ametar gewesen war.
Tagträumer
Selina sah sich seufzend um. Ihr bot sich das Bild eines regelrechten Schlachtfeldes. Der Boden war mit Pfützen einer undefinierbaren, klebrigen Flüssigkeit bedeckt, Bettlaken waren zerwühlt und um die Waschstelle hatte es den Anschein, als habe sich eine Wildschweinfamilie vergnügt. Das gesamte Zimmer war verwüstet.
Die junge Dienstmagd schlang ihr langes, glattes Haar im Nacken zu einem Knoten, klatschte kurz in die Hände, um sich zu motivieren, und machte sich an die Arbeit. Es versprach, ein weiterer harter Tag zu werden.
Bemüht, ihre Fantasie davon abzuhalten, Erklärungen für die Braunschattierungen auf den einst blütenweißen Laken zu suchen, raffte Selina die verschmutzte Bettwäsche zusammen und stopfte sie in einen großen, geflochtenen Korb. Sie sah auf und ihr Blick glitt hin zum Fenster, wie so oft während der Arbeit. Draußen summten Fliegen und irgendwo zirpte eine Meise ein leises, einsames Lied. Selina starrte abwesend auf die dunkle Holzfassade der Färberei unmittelbar gegenüber dem Gasthaus. Der Staub, den die Fuhrwerke aufwirbelten, hing wie ein Nebel über der Straße. Doch Selina beachtete es kaum. Ihre Gedanken waren weit fort, wanderten über sanfte, bewaldete Hügel bis hin zu den schroffen Hängen des Gebirges ihrer Heimat. Auf den Wiesen wiegten Margeriten zwischen Glockenblumen und Kuckuckslichtnelken im Wind und der betörende Duft der Akazien durchzog die frische Luft. Selina hörte die Bussarde schreien und die Schafe blökten auf den Weiden.
Es waren noch keine zwei Wochen vergangen, seit Selina nach Ametar gekommen war, um in dem Gasthof Zur Singenden Maid zu arbeiten. Die Stadt lag fünf Tagesmärsche ab ihrer Heimat, einem Bauerndorf in den Bergen, wo sie seit ihrer Geburt mit ihrer Mutter Kathrin gelebt hatte. Nun hatte diese sie hierher geschickt, um sich mit einer anständigen Arbeit ein eigenes Leben aufzubauen und, so mutmaßte Selina, um sich in der Umgebung einer gutbürgerlichen Stadt den Sitten und Gebräuchen der Menschen anzupassen. Hier sollte sie ihre eigene Familie gründen, in einem Häuschen samt Kräutergärtchen den Alltagsarbeiten nachgehen und Kinder großziehen – all dies, fern vom Ruf der Wildnis und dem Abenteuer. So waren wohl die Pläne und Absichten ihrer Mutter gewesen, als diese sie nach Ametar geschickt hatte. Und Selina war es nicht unrecht gewesen. Sie hielt
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