Das Nest der Nadelschlange
mit einemmal von unsichtbaren Nebeln erfüllt. Mythor fühlte eine unsagbare Erregung in sich aufsteigen. Das Gesicht erwachte zum Leben, sah ihn für die Dauer eines stockenden Herzschlags an, dann schien es sich förmlich vom Pergament zu lösen. Ein Körper formte sich, entstand aus dem Nichts heraus. Ein weibliches Wesen von unbeschreiblicher Schönheit.
Mythor hatte den Eindruck, diese Frau schwebe, als sie langsam auf ihn zuschritt. Aber zweifellos war sie wirklich, nicht bloß eine Einbildung. Sie lächelte, und ihre Augen suchten die seinen.
So begnadet der Künstler auch gewesen sein musste, der ihr Abbild auf das Pergament gezaubert hatte, den ganzen exotischen Reiz ihrer Schönheit, den verführerischen Hauch, der sie umgab wie der Strahlenkranz der Sonne eine Wolke, hatte er nicht wiederzugeben vermocht. Nicht einmal Mythors Träume hatten diese Wirklichkeit je offenbart.
Sie blieb stehen. Ihre betörenden Lippen öffneten sich. »Ich bin Syrina«, sagte sie, und der Klang ihrer Stimme ließ den Kämpfer der Lichtwelt wohlige Schauder spüren. Mit einer flüchtigen Bewegung streifte sie ihr langes, wallendes Haar zurück, dass ihr Ohr frei wurde.
Auf diesen Augenblick hatte Mythor lange gewartet. Und nun wusste er nichts anderes zu erwidern als seinen Namen.
Aber sie ging mit einem Lächeln über sein Zögern hinweg.
»Du bist erstaunt«, sagte sie, »mich hier zu finden, in der Wildnis von Dandamar. Des Schicksals Fäden sind verwoben, doch die Fügung und die Vorsehung des Lichtboten, der auf seinem Kometentier einst die Mächte der Finsternis zurückdrängte, wenden alles zum Guten.«
Wie ein Verdurstender nahm Mythor jede ihrer Bewegungen, jedes Lächeln in sich auf. Nur am Rande stellte er fest, dass ihr Bildnis verschwunden und der Rahmen wieder leer war wie zuvor.
»Wo bin ich hier?« wollte er wissen. »In einem Stützpunkt des Lichtboten?«
Syrina antwortete nicht. Statt dessen reichte sie ihm ihre Hand, die er freudig ergriff. Die Berührung verriet ihm, dass sie nicht nur äußerlich eine Schönheit war. Ihre Seele war erfüllt von dem Wunsch, der Lichtwelt zu helfen und die Mächte der Schattenzone in die Schranken zu weisen. Sie waren einander ähnlich.
»Ich habe lange auf dein Eintreffen gewartet«, kam es von ihr. »Und in all den Sommern und Wintern, die ins Land zogen, hoffte ich darauf, dass der Sohn des Kometen kommen und mich endlich befreien würde. Schon fallen Schatten auf die Reiche des Nordens, wird Blut unzähliger Kinder des Lichts vergossen. Dämonen haben die Macht. Ihr Einfluss ist größer als der vieler Herrscher.«
»Es sind schlimme Zeiten, in die ich hineingeboren wurde«, bestätigte Mythor und nickte.
Nur mühsam konnte er sein Verlangen unterdrücken, diese Frau zu besitzen. Er fieberte dem Augenblick entgegen, in dem sie ihm gehören würde. Sie war nur spärlich bekleidet. Ihre festen, wohlgeformten Brüste, die Rundungen ihrer Hüften und ihre weiche, alabasterfarbene Haut kamen dadurch erst richtig zur Geltung.
»Du wartest auf Befreiung?« fragte er, und sein Blick suchte Alton und den Helm der Gerechten. »Wenn ich für dich kämpfen kann, werde ich es tun. Nenne mir den Gegner, der dich gegen deinen Willen hier festhält!«
Syrina lachte. »Du bist es, Mythor. Ich musste in diesem Tempel auf dich warten, denn ich brauche dich. Der Samen, der wachsen und heranreifen will, ist von dir abhängig.«
»Du sprichst in Rätseln. Wer bist du? Die Tochter des Kometen?«
Ein Lächeln, das vielleicht ein wenig bedauernd war, huschte über ihre Züge. »Ich bin eine Kometenfee, die auf jenen Helden wartet, der ihr Bild am Herzen trägt.«
Mythor nickte. Ja, er hatte das Pergament wie seinen Augapfel behütet. Jetzt erst vermochte er gänzlich zu ermessen, welchen Schatz Nottr ihm damit vermacht hatte.
Aber er fühlte gleichzeitig ein drängendes Unbehagen. War es, weil er sich anmaßte, Syrina besitzen zu wollen? Oder traf die Schuld seine Erinnerung, die ihn gerade jetzt in jene Gruft hinter dem Wasserfall zurückversetzte, in der er Gwasamee begegnet war, der Kometenfee, die ihm den Weg zu Xanadas Lichtburg gewiesen hatte?
Doch Syrina war anders als sie, musste einfach anders sein, denn es gab so viele Fragen, die ihm auf der Zunge brannten und deren Beantwortung für ihn wichtig war. Fragen über seine Herkunft, die nach wie vor im Dunkeln lag, über die letzten Stützpunkte des Lichtboten und seine Bestimmung. Syrina durfte nicht zerfallen und ihn
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