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Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Süskind
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fließenden Wasser. Und wenn endlich ein Lufthauch ihm das Ende eines zarten Duftfadens zuspielte, dann stieß er zu und ließ nicht mehr los, dann roch er nichts mehr als diesen einen Geruch, hielt ihn fest, zog ihn in sich hinein und bewahrte ihn in sich für alle Zeit. Es mochte ein altbekannter Geruch sein oder eine Variation davon, es konnte aber auch ein ganz neuer sein, einer, der kaum oder gar keine Ähnlichkeit mit allem besaß, was er bis dahin gerochen, geschweige denn gesehen hatte: der Geruch von gebügelter Seide etwa; der Geruch eines Tees von Quendel, der Geruch eines Stücks silberbestickten Brokats, der Geruch eines Korkens aus einer Flasche mit seltenem Wein, der Geruch eines Schildpattkamms. Hinter solchen ihm noch unbekannten Gerüchen war Grenouille her, sie jagte er mit der Leidenschaft und Geduld eines Anglers und sammelte sie in sich.
    Wenn er sich am dicken Brei der Gassen sattgerochen hatte, ging er in luftigeres Gelände, wo die Gerüche dünner waren, sich mit Wind vermischten und entfalteten, fast wie ein Parfum: auf den Platz der Hallen etwa, wo in den Gerüchen abends noch der Tag fortlebte, unsichtbar, aber so deutlich, als wuselten da noch im Gedränge die Händler, als ständen da noch die vollgepackten Körbe mit Gemüse und Eiern, die Fässer voll Wein und Essig, die Säcke mit Gewürzen und Kartoffeln und Mehl, die Kästen mit Nägeln und Schrauben, die Fleischtische, die Tische voll von Stoffen und Geschirr und Schuhsohlen und all den hundert ändern Dingen, die dort tagsüber verkauft wurden... das ganze Getriebe war bis in die kleinste Einzelheit präsent in der Luft, die es hinterlassen hatte. Grenouille sah den ganzen Markt riechend, wenn man so sagen kann. Und er roch ihn genauer, als mancher ihn sehen könnte, denn er nahm ihn im nachhinein wahr und deshalb auf höhere Weise: als Essenz, als den Geist von etwas Gewesenem, der nicht durch die üblichen Attribute der Gegenwart gestärt war, als da sind der Lärm, das Grelle, das eklige Aneinander der leibhaftigen Menschen.
    Oder er ging dorthin, wo man seine Mutter geköpft hatte, zur Place de Greve, die wie eine große Zunge in den Fluss hineinleckte. Hier lagen, ans Ufer gezogen oder an Pfosten vertäut, die Schiffe und rochen nach Kohle und Korn und Heu und feuchten Tauen.
    Und von Westen her kam durch diese einzige Schneise, die der Fluss durch die Stadt schnitt, ein breiter Windstrom und brachte Gerüche vom Land her, von den Wiesen bei Neuilly, von den Wäldern zwischen Saint-Germain und Versailles, von weit entfernt gelegenen Städten wie Rouen oder Caen und manchmal sogar vom Meer. Das Meer roch wie ein geblähtes Segel, in dem sich Wasser, Salz und eine kalte Sonne fingen. Es roch simpel, das Meer, aber zugleich roch es groß und einzigartig, so dass Grenouille zögerte, seinen Geruch aufzuspalten in das Fischige, das Salzige, das Wässrige, das Tangige, das Frische und so weiter. Er ließ den Geruch des Meeres lieber beisammen, verwahrte ihn als ganzes im Gedächtnis und genoss ihn ungeteilt. Der Geruch des Meeres gefiel ihm so gut, dass er sich wünschte, ihn einmal rein und unvermischt und in solchen Mengen zu bekommen, dass er sich dran besaufen könnte. Und später, als er aus Erzählungen erfuhr, wie groß das Meer sei und dass man darauf tagelang mit Schiffen fahren konnte, ohne Land zu sehen, da war ihm nichts lieber als die Vorstellung, er säße auf so einem Schiff, hoch oben im Korb auf dem vordersten Mast, und flöge dahin durch den unendlichen Geruch des Meeres, der ja eigentlich gar kein Geruch war, sondern ein Atem, ein Ausatmen, das Ende aller Gerüche, und läse sich auf vor Vergnügen in diesem Atem. Aber dahin sollte es nie kommen, denn Grenouille, der an der Place de Greve am Ufer stand und mehrmals einen kleinen Fetzen Meerwind, den er in die Nase bekommen hatte, aus-und einatmete, sollte das Meer, das eigentliche Meer, den großen Ozean, der im Westen lag, in seinem Leben niemals sehen und sich nie mit diesem Geruch vermischen dürfen.
    Das Viertel zwischen Saint-Eustache und dem Hotel de Ville hatte er bald so genau durch rochen, dass er sich darin bei stockfinsterer Nacht zurechtfand. Und so dehnte er sein Jagdgebiet aus, zunächst nach Westen hin zum Faubourg Saint-Honore, dann die Rue Saint-Antoine hinauf bis zur Bastille, und schließlich sogar auf die andere Seite des Flusses hinüber in das Sorbonneviertel und in den Faubourg Saint-Germain, wo die reichen Leute wohnten. Durch die

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