Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Eisengitter der Toreinfahrten roch es nach Kutschenleder und nach dem Puder in den Perücken der Pagen, und über die hohen Mauern hinweg strich aus den Gärten der Duft des Ginsters und der Rosen und der frisch geschnittenen Liguster. Hier
war es auch, dass Grenouille zum ersten Mal Parfums im eigentlichen Sinn des Wortes roch: einfache Lavendel-oder Rosenwässer, mit denen bei festlichen Anlässen die Springbrunnen der Gärten gespeist wurden, aber auch komplexere, kostbarere Düfte von Moschustinktur gemischt mit dem Öl von Neroli und Tuberose, Joncquille, Jasmin oder Zimt, die abends wie ein schweres Band hinter den Equipagen her wehten. Er registrierte diese Düfte, wie er profane Gerüche registrierte, mit Neugier, aber ohne besondere Bewunderung. Zwar merkte er, dass es die Absicht der Parfums war, berauschend und anziehend zu wirken, und er erkannte die Güte der einzelnen Essenzen, aus denen sie bestanden. Aber als ganzes erschienen sie ihm doch eher grob und plump, mehr zusammengepanscht als komponiert, und er wusste, dass er ganz andere Wohlgerüche würde herstellen können, wenn er nur über die gleichen Grundstoffe verfügte.
Viele dieser Grundstoffe kannte er schon von den Blumen-und Gewürzständen des Marktes her; andere waren ihm neu, und diese filterte er aus den Duftgemischen heraus und bewahrte sie namenlos im Gedächtnis: Amber, Zibet, Patschuli, Sandelholz, Bergamotte, Vetiver, Opoponax, Benzoe, Hopfenblüte, Bibergeil...
Wählerisch ging er nicht vor. Zwischen dem, was landläufig als guter oder schlechter Geruch bezeichnet wurde, unterschied er nicht, noch nicht. Er war gierig. Das Ziel seiner Jagden bestand darin, schlichtweg alles zu besitzen, was die Welt an Gerüchen zu bieten hatte, und die einzige Bedingung war, dass die Gerüche neu seien. Der Duft eines schweißenden Pferds galt ihm ebensoviel wie der zarte grüne Geruch schwellender Rosenknospen, der stechende Gestank einer Wanze nicht weniger als der Dunst von gespicktem Kalbsbraten, der aus den Herrschaftsküchen quoll. Alles, alles fraß er, saugte
er in sich hinein. Und auch in der synthetisierenden Geruchsküche seiner Phantasie, in der er ständig neue Duftkombinationen zusammenstellte, herrschte noch kein ästhetisches Prinzip. Es waren Bizarrerien, die er schuf und alsbald wieder zerstörte wie ein Kind, das mit Bauklötzen spielt, erfindungsreich und destruktiv, ohne erkennbares schöpferisches Prinzip.
— 8 —
Am 1. September 1753, dem Jahrestag der Thronbesteigung des Königs, ließ die Stadt Paris am Pont Royal ein Feuerwerk abbrennen. Es war nicht so spektakulär wie das Feuerwerk zur Feier der Verehelichung des Königs oder wie jenes legendäre Feuerwerk aus Anlass der Geburt des Dauphin, aber es war immerhin ein sehr beeindruckendes Feuerwerk. Man hatte goldene Sonnenräder auf die Masten der Schiffe montiert. Von der Brücke spieen sogenannte Feuerstiere einen brennenden Sternenregen in den Fluss. Und während allüberall unter betäubendem Lärm Petarden platzten und Knallfrösche über das Pflaster zuckten, stiegen Raketen in den Himmel und malten weiße Lilien an das schwarze Firmament. Eine vieltausendköpfige Menge, welche sowohl auf der Brücke als auch auf den Quais zu beiden Seiten des Flusses versammelt war, begleitete das Spektakel mit begeisterten Ahs und Ohs und Bravos und sogar mit Vivats - obwohl der König seinen Thron schon vor achtunddreißig Jahren bestiegen und den Höhepunkt seiner Beliebtheit längst überschritten hatte. So viel vermag ein Feuerwerk.
Grenouille stand stumm im Schatten des Pavillon de Flore, am rechten Ufer, dem Pont Royal gegenüber. Er rührte keine Hand zum Beifall, er schaute nicht einmal hin, wenn die Raketen aufstiegen. Er war gekommen, weil er glaubte, irgend etwas Neues erschnuppern zu können, aber es stellte sich bald heraus, dass das Feuerwerk geruchlich nichts zu bieten hatte. Was da in verschwenderischer Vielfalt funkelte und sprühte und krachte und pfiff, hinterließ ein höchst eintägiges Duftgemisch von Schwefel, Öl und Salpeter.
Er war schon im Begriff, die langweilige Veranstaltung zu verlassen, um an der Galerie des Louvre entlang heimwärts zu gehen, als ihm der Wind etwas zutrug, etwas Winziges, kaum Merkliches, ein Bröselchen, ein Duftatom, nein, noch weniger: eher die Ahnung eines Dufts als einen tatsächlichen Duft - und zugleich doch die sichere Ahnung von etwas Niegerochenem. Er trat wieder zurück an die Mauer, schloss die Augen und
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