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Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Süskind
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vertraut, ihm gab er ein Gefühl von Sicherheit. In allen Städten suchte er immer zuerst die Viertel der Gerber auf. Es war ihm dann, als sei er, aus der Sphäre des Gestankes kommend und von dort aus die anderen Regionen des Orts erkundend, kein Fremdling mehr.
    Den ganzen Nachmittag über durchstreifte er die Stadt. Sie war unglaublich schmutzig, trotz oder vielmehr gerade wegen des vielen Wassers, das aus Dutzenden von Quellen und Brunnen sprudelte, in ungeregelten Bächen und Rinnsalen stadtabwärts gurgelte und die Gassen unterminierte oder mit Schlamm überschwemmte. Die Häuser standen in manchen Vierteln so dicht, dass für die Durchlässe und Treppchen nur noch eine Elle weit Platz blieb und sich die im Schlamm watenden Passanten aneinander vorbeipressen mussten. Und selbst auf den Plätzen und den wenigen breiteren Straßen konnten die Fuhrwerke einander kaum ausweichen.
    Dennoch, bei allem Schmutz, bei aller Schmuddligkeit und Enge, barst die Stadt vor gewerblicher Betriebsamkeit. Nicht weniger als sieben Seifenkochereien machte Grenouille bei seinem Rundgang aus, ein Dutzend Parfumerie-und Handschuhmachermeister, unzählige kleinere Destillen, Pomadeateliers und Spezereien und schließlich einige sieben Händler, die Düfte en gros vertrieben.
    Dies waren nun allerdings Kaufleute, die über wahre Duftstoffgroßkontore verfügten. Anzusehen war es ihren Häusern oftmals kaum. Die zur Straße hin gelegenen Fassaden sahen bürgerlich bescheiden aus. Doch was dahinter lagerte, auf Speichern und in riesenhaften Kellern, an Fässern von Öl, an Stapeln von feinster Lavendelseife, an Ballons von Blütenwässern, Weinen, Alkoholen, an Ballen von Duftleder, an Säcken und Truhen und Kisten, vollgestopft mit Gewürzen... - Grenouille roch es in allen Einzelheiten durch die dicksten Mauern -, das waren Reichtümer, wie sie Fürsten nicht besaßen. Und wenn er schärfer hinroch, durch die zur Straße gelegenen prosaischen Geschäfts-und Lagerräume hindurch, dann entdeckte er, dass auf der Rückseite dieser kleinkarierten Bürgerhäuser sich Gebäulichkeiten der luxuriösesten Art befanden. Um kleine, aber reizende Gärten, in denen Oleander und Palmen gediehen und zierliche von Rabatten umfasste Springbrunnen Gur gelten, dehnten sich, meist U-förmig nach Süden gebaut, die eigentlichen Flügel der Anwesen aus: sonnendurchflutete, seidentapetenbespannte Schlafgemächer in den Obergeschossen, prächtige mit exotischem Holz getäfelte Salons zu ebener Erde und Speisesäle, bisweilen terrassenhaft ins Freie vorgebaut, in denen tatsächlich, wie Baldini erzählt hatte, mit goldenem Besteck von porzellanenen Tellern gegessen wurde. Die Herren, die hinter diesen bescheidenen Kulissen wohnten, rochen nach Gold und nach Macht, nach schwerem gesichertem Reichtum, und sie rochen stärker danach als alles, was Grenouille bisher auf seiner Reise durch die Provinz in dieser Hinsicht gerochen hatte.
    Vor einem der camouflierten Palazzi blieb er längere Zeit stehen. Das Haus befand sich am Anfang der Rue Droite, einer Hauptstraße, die die Stadt in ihrer ganzen Länge von Westen nach Osten durchzog. Es war nicht außergewöhnlich anzusehen, wohl etwas breiter und behäbiger an der Front als die Nachbargebäude, aber durchaus nicht imposant. Vor der Toreinfahrt stand ein Wagen mit Fässern, die über eine Pritsche entladen wurden. Ein zweites Fuhrwerk wartete. Ein Mann ging mit Papieren ins Kontor, kam mit einem anderen Mann wieder heraus, beide verschwanden in der Toreinfahrt. Grenouille stand an der gegenüberliegenden Straßenseite und sah dem Treiben zu. Was da vor sich ging, interessierte ihn nicht. Trotzdem blieb er stehen. Irgendetwas hielt ihn fest.
    Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Gerüche, die ihm von dem Gebäude gegenüber zuflogen. Da waren die Gerüche der Fässer, Essig und Wein, dann die hundertfältigen schweren Gerüche des Lagers, dann die Gerüche des Reichtums, die aus den Mauern transpirierten wie feiner goldener Schweiß, und schließlich die Gerüche eines Gartens, der auf der anderen Seite des Hauses liegen musste. Es war nicht leicht, diese zarteren Düfte des Gartens aufzufangen, denn sie zogen nur in dünnen Streifen über den Giebel des Hauses hinweg herab auf die Straße. Grenouille machte Magnolien aus, Hyazinthen, Seidelbast und Rhododendron... - aber da schien noch etwas anderes zu sein, etwas Mörderisch Gutes, was in diesem Garten duftete, ein Geruch so exquisit, wie er ihn

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