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Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Süskind
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botanischen Universitätsgärten schwiegen betreten. Zu eklatant war die Veränderung, zu überwältigend das Wunder, das hier offenbar geschehen war: Wo vor Wochenfrist ein geschundenes, verrohtes Tier gekauert hatte, da stand jetzt wahrhaftig ein zivilisierter, wohlgestalter Mensch. Es breitete sich eine fast andächtige Stimmung im Saale aus, und als Taillade-Espinasse zum Vortrag anhob, herrschte vollkommene Stille. Er entwickelte abermals seine sattsam bekannte Theorie des letalen Erdfluidums, erläuterte dann, mit welchen mechanischen und diätetischen Mitteln er es aus dem Körper des Demonstranten vertrieben und durch Vitalfluidum ersetzt habe, und forderte schließlich alle Anwesenden auf, Freunde wie Gegner, angesichts solch überwältigender Evidenz den Widerstand gegen die neue Lehre aufzugeben und gemeinsam mit ihm, Taillade-Espinasse, das böse Fluidum zu bekämpfen und sich dem guten vitalen Fluidum zu öffnen. Hierbei breitete er die Arme aus und schlug die Augen gen Himmel, und viele der gelehrten Männer taten es ihm gleich, und die Frauen weinten.
    Grenouille stand auf dem Podest und hörte nicht zu. Er beobachtete mit größter Genugtuung die Wirkung eines ganz anderen Fluidums, eines viel realeren: seines eignen. Er hatte sich, den räumlichen Erfordernissen der Aula entsprechend, sehr stark parfumiert, und die Aura seines Duftes strahlte, kaum dass er das Podium bestiegen hatte, mächtig von ihm ab. Er sah sie - in der Tat sah er sie sogar mit Augen! – die zuvorderst sitzenden Zuschauer erfassen, sich weiter nach hinten fortpflanzen und endlich die letzten Reihen und die Galerie erreichen. Und wen sie erfasste – das Herz im Leibe sprang Grenouille vor Freude -, den veränderte sie sichtbar. Im Banne seines Duftes, aber ohne sich dessen bewusst zu sein, wechselten die Menschen ihren Gesichtsausdruck, ihr Gehabe, ihr Gefühl. Wer ihn zunächst nur mit bassem Erstaunen beglotzt hatte, der sah ihn nun mit milderem Auge an; wer zurückgelehnt in seinem Stuhl verharrt hatte, mit kritisch gefurchter Stirn und bedeutend herabgezogenen Mundwinkeln, der lehnte sich jetzt lockerer nach vorn und bekam ein kindlich gelöstes Gesicht; und selbst in den Gesichtern der ängstlichen, der Verschreckten, der Allersensibelsten, die seinen ehemaligen Anblick nur mit Entsetzen und seinen jetzigen immerhin noch mit gehöriger Skepsis ertragen konnten, zeigten sich Anflüge von Freundlichkeit, ja Sympathie, als sein Duft sie erreichte. Am Ende des Vertrags erhob sich die ganze Versammlung und brach in frenetischen Jubel aus. «Es lebe das vitale Fluidum! Es lebe Taillade-Espinasse! Hoch die fluidale Theorie! Nieder mit der orthodoxen Medizin!» - so schrie das gelehrte Volk von Montpellier, der bedeutendsten Universitätsstadt des französischen Südens, und der Marquis de la Taillade-Espinasse hatte die größte Stunde seines Lebens.
    Grenouille aber, der nun von seinem Podest herunterstieg und sich unter die Menge mischte, wusste, dass die Ovationen eigentlich ihm galten, ihm Jean-Baptiste Grenouille allein, auch wenn keiner der Jubler im Saal davon etwas ahnte.

— 34 —
     
    Er blieb noch einige Wochen in Montpellier. Er hatte eine ziemliche Berühmtheit erlangt und wurde in die Salons eingeladen, wo man ihn nach seinem Höhlenleben und nach seiner Heilung durch den Marquis befragte. Immer wieder musste er die Geschichte von den Räubern erzählen, die ihn verschleppt hatten, und von dem Korb, der herabgelassen wurde, und von der Leiter. Und jedesmal schmückte er sie prächtiger aus und erfand neue Details hinzu. So bekam er wieder eine gewisse Übung im Sprechen - freilich eine sehr beschränkte, denn mit der Sprache hatte er es zeitlebens nicht - und, was ihm wichtiger war, einen routinierteren Umgang mit der Lüge.
    Im Grunde, so stellte er fest, konnte er den Leuten erzählen, was er wollte. Wenn sie einmal Vertrauen gefasst hatten - und sie fassten Vertrauen zu ihm mit dem ersten Atemzug, den sie von seinem künstlichen Geruch inhalierten -, dann glaubten sie alles. Er bekam des weiteren eine gewisse Sicherheit im gesellschaftlichen Umgang, wie er sie niemals besessen hatte. Sie drückte sich sogar Körperlich aus. Es war, als sei er gewachsen. Sein Buckel schien zu schwinden. Er ging beinahe vollkommen aufrecht. Und wenn er angesprochen wurde, so zuckte er nicht mehr zusammen, sondern blieb aufrecht stehen und hielt den auf ihn gerichteten Blicken stand. Freilich, es wurde in dieser Zeit kein Mann von

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