Das Phantom im Schokoladen-Museum
sich in grauer Vorzeit. Aber ich habe
geschichtliche Quellen entdeckt“, an dieser Stelle lächelte Gaby geheimnisvoll,
„die uns die Wahrheit verraten. Damals also, als die Tiere noch sprechen
konnten, stahlen die Waldameisen den Göttern die Kakaobohne aus deren Tempel
und brachten sie den Indianern des tropischen Urwaldes. Die rösteten die Bohnen
über dem Feuer, zermahlten sie zwischen Steinen und vermischten sie mit Honig.
Kein Zweifel, es war ein Trank der Götter — und der Kakaobaum war den Azteken
heilig. Kakao war ihnen Nahrungsmittel, Heilmittel, diente der
Schönheitskosmetik und als Zahlungsmittel, wie uns erhaltene Steuerlisten
lehren. Für 10 Kakaobohnen gab es ein Kaninchen, für 50 Bohnen eine Sklavin,
für 100 Bohnen einen Sklaven — wobei mich als modernes, emanzipiertes Mädchen dieses
Wertgefälle zwischen männlich und weiblich besonders empört. Ganz abgesehen
davon, dass ich strikt gegen Sklaverei bin. Auch gegen die Versklavung der
Männer.“
Sie musste einen Moment
unterbrechen, weil alles gluckste und feixte. Dann fuhr sie fort.
„Kakao war also das braune Gold
der Azteken. Der Eroberer Cortez machte sich die nährende Eigenschaft des
Kakaos in kriegerischer Weise zu Nutze. Die bei kleiner Flamme geriebene
Kakaomasse ließ sich nämlich in große Blätter verpacken und war nahezu unbegrenzt
haltbar. Damit ausgerüstet, konnte der spanische Eroberer immer weiter in den
Dschungel eindringen und hatte keine Verpflegungsprobleme. Allerdings — seinen
Soldaten wird diese Nahrung wohl kaum geschmeckt haben. Denn der herbe Kakao
war gewürzt mit Pfeffer, Paprika, Mais und Vanillin. Es muss ein bisschen wie
Gulasch geschmeckt haben und hatte bestimmt keine Ähnlichkeit mit den
wundervollen Schoko-Produkten der Firma Sauerlich. Später — am spanischen Hof —
wurde der Kakao mit Zucker gemischt. Und die Trinkschokolade war geboren.
Allerdings waren damals beide Rohstoffe — nämlich Zucker und Kakao — nahezu
unbezahlbar. Deshalb war der Genuss der Trinkschokolade — aus der im 17.
Jahrhundert die feste Schokolade entstand — ausschließlich dem Adel vorbehalten.
Das blieb so bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Doch in unserer Zeit ist dank
fortschreitender Technisierung aus dem einstigen Luxusartikel ein für jedermann
erschwingliches Nahrungs- und Genussmittel geworden. In dem Zusammenhang
verweise ich auf die äußerst günstigen Preise der Sauerlichschen Produkte.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.“
Beifall umbrandete Gaby.
Besonders die Jungköche konnten kaum aufhören mit dem Händeklatschen.
Dann wurden die Besucher durch
die Räume geführt und TKKG erläuterten die Ausstellungsstücke.
Nach anderthalb Stunden war
alles vorbei und der Bus mit den zufriedenen Köchen — die sich alle am
Schoko-Brunnen gestärkt hatten — fuhr ab.
„Ich habe mitgezählt,
überschlägig“, brummelte Klößchen. „Am Schoko-Brunnen wurden mindestens 400
Pralinen gefressen und 100 Schoko-Stückchen. Außerdem haben sich einige
Lehrlinge die Taschen vollgestopft. Ein irrer Unkostenfaktor! Als Junior-Chef
muss ich mal mit meinem Vater, dem Senior-Chef, darüber reden. Vielleicht
sollte man ein Schild anbringen: Bitte, pro Besucher nur eine Praline!“
„Geizhals!“, sagte Gaby. „Du
solltest wissen: Kleine Geschenke erhalten die Schoko-Freundschaft. Aber sie
dürfen nicht zu klein sein.“
22. Erster und zweiter Anschlag
Mitternacht.
Ein buttergelber Vollmond war
über der Millionenstadt aufgegangen. Im Park rund um das Schokoladen-Museum
hatten die Singvögel die letzten Strophen ihrer Abendlieder beendet. Stille
lastete auf Schoko-Schloss und Umgebung. Im Museum brannte kein Licht. Im
Videoraum hatten die Jungs ihre Luftmatratzen aufgeblasen und ausgebreitet.
Dort lagerten sie. Alle Türen ringsum waren geöffnet. Kein Geräusch von
irgendwoher würde ungehört bleiben — nicht mal das Knirschen der
Vollmilch-Stücke zwischen Klößchens Zähnen.
Allerdings hatten auch Karl und
Tim genascht — sozusagen als Abendessen sich dann jedoch gründlich die Zähne
geputzt. Tim, der mehr auf Spaghetti und Pizza steht sowie Obst, hatte sich
sehr zurückgehalten — und eigentlich nur zugegriffen, um diese ‚heiligen
Hallen’ nicht durch ein Desinteresse von Zunge und Gaumen zu entweihen.
Gaby war zu Hause und schlief
sicherlich längst, während Oskar, der schwarz-weiße Cocker-Spaniel, ihren
Schlaf bewachte. Selbstverständlich hatte Tim seine Freundin heimgebracht und
war dann
Weitere Kostenlose Bücher