Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
anzuvertrauen. Das würde Egwene unmöglich bis zum nächsten Morgen schaffen, und dann musste sie Verins wahren Zustand allen enthüllen.
Sie warf einen Blick auf die Frau. Verin sah wirklich so aus, als schliefe sie. Egwene hatte sie bis zum Hals zugedeckt und ihr dann die Schuhe ausgezogen und neben das Bett gestellt, um die Illusion noch zu verstärken. Sie entschloss sich, Verin auf die Seite zu drehen, auch wenn sie sich dabei respektlos vorkam. Die Rote Schwester hatte bereits ein paarmal ins Zimmer geschaut, und Verin in einer anderen Position zu sehen würde weniger verdächtig erscheinen.
Als sie damit fertig war, betrachtete Egwene ihre Kerze, um die verstrichene Zeit abzuschätzen. Das Zimmer hatte keine Fenster, die gab es in den Novizinnenquartieren nicht. Sie verdrängte die Sehnsucht, die Macht umarmen und eine Lichtkugel erschaffen zu können, bei der sie lesen konnte. Sie würde sich mit der Kerzenflamme begnügen müssen.
Sie vergrub sich in ihre erste Aufgabe: die Entschlüsselung der Namen der Schwarzen Schwestern im hinteren Teil des Buches. Das war sogar noch wichtiger, als sich die Verschlüsselung zu merken. Sie musste wissen, wem sie vertrauen konnte.
Die folgenden Stunden gehörten zu den unbehaglichsten und unangenehmsten ihres Lebens. Einige der Namen waren ihr unbekannt, viele kaum vertraut. Andere gehörten aber Frauen, mit denen sie zusammengearbeitet hatte, die sie respektiert und denen sie sogar vertraut hatte. Sie fluchte, als sie Katerines Namen beinahe ganz oben auf der Liste fand, und zischte überrascht, als Alviarins Namen auftauchte. Von Elza Penfell und Galina Casban hatte sie schon gehört, aber einige der nächsten Namen waren ihr unbekannt.
Bodenlose Übelkeit breitete sich in ihr aus, als sie Sheriams Namen las. Sie hatte die Frau einmal verdächtigt, das stimmte, aber das war während ihrer Zeit als Novizin und dann als Aufgenommene gewesen. Während jener Tage – die Tage, in denen sie mit der Jagd auf die Schwarzen Ajah begonnen hatte – war Liandrins Verrat noch frisch gewesen. Damals hatte sie jeden verdächtigt.
Während des Exils in Salidar hatte Egwene eng mit Sheriam zusammengearbeitet und angefangen, die Frau zu mögen. Aber sie gehörte zu den Schwarzen. Ihre eigene Bewahrerin der Chroniken war eine Schwarze. Stähle dich, rief sie sich zur Ordnung und las weiter. Sie verarbeitete das Gefühl von Verrat, die Verbitterung und das Bedauern. Sie durfte nicht zulassen, dass sich ihrer Pflicht Gefühle in den Weg stellten.
Die Schwarzen Schwestern waren in jeder Ajah vertreten. Einige waren Sitzende, andere gehörten zu den gänzlich unbedeutenden Aes Sedai, die nur schwach in der Macht waren. Und es gab Hunderte von ihnen, Verins Zählung nach etwas mehr als zweihundert. Einundzwanzig bei den Blauen, achtundzwanzig bei den Braunen, dreißig bei den Grauen, achtunddreißig bei den Grünen, siebzehn bei den Weißen, einundzwanzig bei den Gelben, und unglaubliche achtundvierzig bei den Roten. Aufgeführt waren auch Namen von Aufgenommenen und Novizinnen. Das Buch beschrieb, dass sie vermutlich bereits Schattenfreunde gewesen waren, bevor sie zur Weißen Burg gekommen waren, denn die Schwarze Ajah rekrutierte ausschließlich bei Aes Sedai. Ein Vermerk verwies auf eine vorherige Seite mit einer längeren Erklärung, aber Egwene ging weiter die Liste durch. Sie musste den Namen einer jeden Frau kennen. Sie musste sie wissen.
Es gab Schwarze Schwestern unter den Rebellen und in der Weißen Burg, es gab sie selbst unter jenen, die während der Spaltung nicht in der Burg gewesen waren und sich auf keine Seite geschlagen hatten. Abgesehen von Sheriam bestand die schlimmste Entdeckung auf der Liste in den Namen der Sitzenden sowohl in der Burg wie auch bei den Rebellen. Duhara Basaheen. Velina Behar. Sedore Dajenna. Delana Mosalaine natürlich und auch Talene Minly. Meidani hatte Egwene im Vertrauen erzählt, dass Talene die Angehörige der Schwarzen Ajah war, die Saerin und die anderen entdeckt hatten, aber sie war aus der Burg geflohen.
Moria Karentanis. Sie war Angehörige der Blauen Ajah, eine Frau, die seit über hundert Jahren die Stola trug und für ihre Weisheit und ihre Vernunft bekannt war. Egwene hatte zahllose Male mit ihr gesprochen und von ihrer Erfahrung profitiert; sie war davon ausgegangen, dass sie als Blaue zu ihren verlässlichsten Anhängerinnen gehören würde. Moria war eine von denen gewesen, die Egwene unbedingt zur Amyrlin hatten erheben
Weitere Kostenlose Bücher