Lloyd, Sienna
1. Die Wiedereroberung
Tag 32, 16:18
Seit vier Tagen habe ich mein Zimmer nicht verlassen. Seit vier Tagen bringt Magda mir mein Essen, das ich nicht anrühre. Seit vier Tagen klopft Charles an die Tür und fragt mich, ob „es geht“. Seit vier Tagen bin ich ohne Gabriel. Seit vier Tagen ist SIE hier. Ihr Blick durchbohrt mich, ihr Lächeln trifft mich wie ein Faustschlag und sie verfolgt mich bis in meine Träume. Vor nur vier Tagen war ein neues Leben in Gabriels Armen absehbar. Der gemeinsame Urlaub in der weißen Zone war vielversprechend. Dann hat er mich gebeten, einen weiteren Monat zu bleiben, und mir sein Herz zu Füßen gelegt.
Ich habe das Gefühl, als wäre dies alles ein schlechter Scherz, seine verschwundene Frau taucht ausgerechnet in dem Moment auf, in dem er sich entscheidet, mit seinem Schmerz abzuschließen. Ich sollte wirklich aus meiner Höhle herauskriechen, meine Abwesenheit könnte dazu führen, dass Rebecca hellhörig wird, sie denkt ja schließlich, dass ich hier bin, um die Vampire zu „studieren“.
Ich nehme Frauen nicht den Ehemann weg! – Aber ich glaube, ich habe mich in Gabriel verliebt. Es ist Zeit, ich sollte mich aufraffen und die wenigsten Probleme wird es geben, wenn ich einfach so tue, als wäre nichts geschehen. Ich will ihn sehen, das ist alles, was zählt.
Als ich klein war, sagte meine Mutter mir oft, dass man, wenn man in seinem Kopf aufräumen will, damit beginnen sollte, die Wohnung aufzuräumen. Es ist höchste Zeit. Ich öffne die Vorhänge, schüttle das Bettzeug auf und streiche die Decke glatt. Luft, frische Luft. Ich hole mir aus dem Schrank im Flur neben dem Badezimmer Magdas Putzmittel und verschwinde für eine Stunde damit. Ich binde meine Haare mit einem Tuch hoch und putze und scheuere; als ich mich ansehe, muss ich lachen: Ich sehe aus wie eine Hausfrau aus den 1950ern. Alles muss glänzen!
Der erste Schritt ist mein Zimmer, danach bin ich selbst an der Reihe, dann werde ich in die Bibliothek gehen und am Konzept für mein Werk arbeiten. Ich werde Magda ein Küsschen geben, mit Charles Tee trinken und alle werden aufatmen. Auch sie leiden unter diesem Damoklesschwert des Ehebruchs, das über uns schwebt.
Aus meinem Radio schallt „
Natural Mystic
“ von Bob Marley und ich denke an das Paket, das Gabriel mir bringen ließ. Ich weiß nicht, was ich ohne all diese persönlichen Bemühungen machen würde, die es mir ermöglichen, mich hier wie zu Hause zu fühlen.
Während ich auf den Knien rutsche und mit einem Lederlappen den Parkettboden zum Glänzen bringe, klopft jemand an meine Tür. Sicherlich hat Magda die Hippiemusik gehört und ahnt, dass es mir besser geht. Ich öffne und erstarre vor Schreck. Es ist SIE.
Rebecca belächelt mein Outfit, ich sehe nicht mehr aus wie ein Pin-up aus den 50ern, sondern wie ein Schmutzfink, wie Aschenputtel. Sie jedoch strahlt mit ihren feuerroten Haaren. Ich habe den Eindruck, als wäre sie seit unserem letzten Treffen gewachsen; je länger ich sie ansehe, umso kleiner werde ich.
„Geht es Ihnen schon besser, Élise? Magda hat mir gesagt, dass es Ihnen schlecht ging. Das liegt sicher an Ihrer Reise in die weiße Zone, um Material zu sammeln … Die Nächte sind dort oft kalt.“
„Ja, ich war etwas erkältet. Nichts Schlimmes. Ich heiße Héloïse, nicht Élise.“
„Oh, das tut mir leid. Mein Namensgedächtnis lässt zu wünschen übrig. Gabriel sagt immer „
die Sterbliche
“, deswegen habe ich den Namen vergessen.“
Wie ein Boxer im Ring beschließe ich, diesen Schlag einfach hinzunehmen. Und zu lächeln. Rebecca tritt ein, dreht sich einmal um sich herum und lässt ihre Augen durch das Zimmer schweifen. Sie besitzt die Anmut einer großen amerikanischen Schauspielerin. Sie erhellt den Raum.
„So etwas, Sie haben diesen Raum ja wirklich für sich erobert.“
„„Erobert“? Es … Es tut mir leid, ich wollte nicht … Gabriel sagte, ich …“
„Seien Sie nicht nervös, Élise, fühlen Sie sich wie zu Hause. Wir haben gerne Gäste, das haben Sie sicherlich schon bemerkt, und jetzt, da ich zurückgekehrt bin, sind Sie auch mein Gast. Wissen Sie, auch ich interessiere mich sehr für Ihr Vorhaben. Gabriel hat mir davon erzählt und ich denke, dass auch ich einen kleinen Teil dazu beitragen könnte.“
„Äh, ja. Das würde mich freuen. Ich könnte Sie interviewen.“
„Ja, gerne, wenn wir wieder zurück sind.“
Rebecca setzt sich auf mein Bett. Sie legt ihre perfekt manikürte Hand auf mein
Weitere Kostenlose Bücher