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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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und Austrittsstellen des Stromflusses machten höchstens zehn Prozent der Körperfläche aus. Aber seine inneren Organe waren stark betroffen. Auf seinem Weg durch den Körper hatte der Strom eine Schneise ultrahocherhitzten Gewebebreis hinterlassen. Herzinfarkt, Lungenödem, Schock. Dreimal hatte er reanimiert werden müssen, da die elektrische Hochspannung sein Herz stark in Mitleidenschaft gezogen hatte. Auch hier hatte das eingespielte Team aus Ärzten und Schwestern, Chirurgen und Anästhesisten exzellente Arbeit geleistet. Und auch hier war der Ausgang unklar.
    Heinrich ließ sich in die andere Ecke des Sofas fallen und zündete sich eine Zigarette an. Er inhalierte tief und blies den Rauch zur Decke. Der AiPler war nicht einmal dreißig Jahre alt, doch im Augenblick sah er aus wie sein eigener Vater.
    »Bist du okay?«, fragte Beatrice mitfühlend. Sie arbeitete schon seit sechs Jahren in der Chirurgie. Und obwohl ihr Situationen wie heute vertraut waren, hatte sie sich immer noch nicht daran gewöhnt. Diese Bilder verfolgten sie in ihren Träumen oder ließen sie gar nicht erst einschlafen. Richtig gewöhnen könnte man sich wohl daran nicht. Es war eine Gratwanderung zwischen Mitfühlen und Mitleiden.
    Und es war ein verdammt schmaler Grat. Heinrich hingegen war noch nicht so lange »im Geschäft«.
    »Es geht schon«, antwortete er leise. »Aber ich weiß nicht, ob ich mich jemals…«
    »Hallo, Leute! Was für ein interessanter Abend! Das bietet Stoff für mindestens drei Drehbücher.« Dr. Thomas Breitenreiter, der heute Nachtdienst hatte, ließ sich auf den Bürostuhl fallen. »Was machst du denn noch hier, Bea? Solltest du nicht schon längst zu Hause sein und deine venengestauten Beine hochlegen?«
    Beatrice verdrehte die Augen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Thomas war ein erstklassiger Chirurg – kompetent, begabt, manche hielten ihn sogar für begnadet. Er war so sehr mit der Chirurgie verwachsen, dass er niemals einen Dienst verschob, jederzeit für andere Kollegen einsprang und sogar seinen Urlaub in Krisengebieten und an Kriegsschauplätzen verbrachte. Während Heinrich und Beatrice die beiden Schwerverletzten behandelt hatten, hatte sich Thomas um alle anderen Patienten gekümmert und sich vermutlich dabei sogar wohlgefühlt. Je mehr Stress, umso mehr war er in seinem Element. Thomas hatte nur einen schwerwiegenden Fehler. Er konnte es einfach nicht lassen, zu lästern und andere mit seinen Sticheleien aufzuziehen. Und seit ihre Schwangerschaft unter den Kollegen bekannt geworden war, wurde Beatrice besonders häufig das Ziel seiner Spötteleien. Normalerweise gab sie ihm schlagfertige Antworten, aber jetzt hatte sie nicht mehr die Kraft dazu. Sie war viel zu müde.
    »Würde es dir etwas ausmachen, wenigstens heute deine Kommentare für dich zu behalten?«
    Thomas hob überrascht die Augenbrauen.
    »Aber ich mache mir doch nur Sorgen um dich und dein Baby. Schließlich war das ein anstrengender Tag, der dich vielleicht überfordert hat. Außerdem müssen wir doch an den Mutterschutz denken.«
    Beatrice hätte ihm eine runterhauen können. Seit Beginn ihrer Schwangerschaft hatte sie ohnehin ein schlechtes Gewissen, da sie laut Gesetz nicht mehr an den Nachtdiensten teilnehmen durfte und andere Kollegen deshalb umso mehr Dienste schieben mussten. Aber warum musste er auch noch darauf herumtrampeln?
    »Thomas hat recht«, warf Heinrich ein, bevor Beatrice etwas entgegnen konnte. »Du hast schon längst Feierabend. Du bist schwanger. Im Eifer des Gefechts vergessen wir das manchmal. Du solltest jetzt wirklich nach Hause gehen.«
    Beatrice lächelte müde. Heinrich war wenigstens ehrlich besorgt.
    »Hör auf den Kollegen, Bea«, sagte Thomas. »Und hab keine Angst, wir kommen schon ohne dich zurecht. Wir müssen uns sowieso daran gewöhnen, dass du die nächsten drei Jahre ausfällst.«
    Beatrice verzog das Gesicht. Thomas konnte es einfach nicht lassen. Dabei lechzte er wahrscheinlich bereits nach den zusätzlichen Diensten, die er machen konnte.
    »Gut, wenn ihr mich los sein wollt, habt ihr selbst Schuld«, sagte sie, erhob sich und stellte ihre Tasse in die Spüle. Dort stapelte sich bereits das schmutzige Geschirr. Irgendjemand würde sich in dieser Nacht erbarmen müssen, damit die Notaufnahme nicht wegen Seuchengefahr geschlossen werden musste. »Angenehmen Dienst!«
    Und ohne ein weiteres Wort verschwand sie im Umkleideraum.
    Es war kurz nach halb acht, als Beatrice ihren Wagen parkte.

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