Das Rascheln von Rosmarin (Historische Romane) (German Edition)
befand sich ein Bett mit einer Frau, die dort lag und sich in höchster Pein krümmte. Ihr riesiger Bauch schwoll dick unter den verschlissenen Laken an. Thomas der Küfer saß neben ihr auf einem dreibeinigen Schemel und hielt ihre Hand. Ein Holzklötzchen steckte fest zwischen ihren Zähnen, trug aber nichts dazu bei, das Stöhnen und die Schmerzensschreie zu dämpfen.
Die Fenster waren mit Tüchern verhangen und der Rauch von der Feuerstelle trieb Maris Tränen in die Augen und nahm ihr die Sicht. Binnen Sekunden hatte sie Thomas und Maggie dazu angeheuert, die Fenster und den Kamin zu öffnen, um die abgestandene Luft aus dem Zimmer zu kriegen.
„Dunkelheit ist wie eine Einladung für die schwarzen Körpersäfte“, erklärte sie, womit sie eine der grundlegenden Regeln zitierte, welche der Gute Venny, ihr Lehrmeister, ihr eingebläut hatte.
Sie vergeudete keine Zeit und schob die Laken weit über den Unterleib der Frau hoch, um zu sehen, wie die Dinge standen. Verkrustetes Blut befand sich an ihren Schenkeln, aber Maris konnte die blutige Haut eines Babys sehen, das sich dort aus dem Mutterleib seinen Weg bahnte. Und die Haut da zwischen den Schenkeln der Frau gehörte nicht zum Kopf.
Grundgütiger. „Es will mit dem Hintern voran zu uns. Bringt Wasser“, befahl Maris mit verkniffenem Mund. „Und ... Maggie, auch etwas von der Laugenseife. Ich will mich waschen, bevor ich sie anrühre.“
Die Quacksalber und die Ärzte Englands waren nicht immer einer Meinung mit den Grundsätzen vom Heimatland des Guten Venny, der aus Jerusalem stammte. Aber Maris war von ihm unterwiesen worden und wich nur selten vom Pfad seiner weisen Lehren ab. Die meisten der einheimischen Quacksalber hätten nie gewagt das in Erwägung zu ziehen, wovon Maris wusste, dass es zur Rettung der Frau hier notwendig war. Sie wusch sich rasch die Hände – eine weitere Regel des Guten Venny – und wischte dann die Beine der Frau sauber, damit sie besser sehen konnte.
Das Kind war verdreht und lag verkehrt, wie es da versuchte sich aus dem Mutterschoß zu schieben. Ohne zu zögern – denn wenn sie das zuließ, würde sie vielleicht doch zaudern und nichts tun –, führte Maris ihre Hand in die schreiende Frau hinein und ertastete den glitschigen Hintern des Kindes. Im Widerspruch zum natürlichen Ablauf der Dinge schob sie das Kleine wieder hinein und hoch. Sie war sich der offenen Münder und der Blicke von Maggie und von dem Küfer hinter sich kaum bewusst, während sie mit dem glitschigen Kind kämpfte, mit ihren Fingern immer wieder hineinglitt und kreisend suchte. Versuchte, das Kind in die rechte Richtung zu drehen.
Endlich ... endlich bewegte das Kind sich und Maris spürte die kleine Kurve eines Fußes. „Pressen!“, schrie sie zu der Frau des Küfers. „Presst!“
Die Muskeln der Frau spannten sich an und ihr Bauch verschob sich. Dann, mit einem langen, fast pfeifenden Stöhnen, presste die Mutter mit aller Gewalt das Kind aus ihrem Leib heraus. Maris wies ihm den Weg, Beine voran, wie es da aus dem Mutterschoß glitt, und endlich hielt sie das winzige Ding in ihren Händen.
Der Schrei eines Neugeborenen drang durch die gesamte Hütte.
„Es ist ein Junge“, verkündete Maris, als sie Maggie das Kind weiterreichte. „Und jetzt, gute Frau, noch einmal pressen, um Euch der Nachgeburt zu entledigen und Ihr könnt Euch ausruhen.“ Aber als sie den Bauch der Frau abtastete und eine weitere Beule sowie mehr Bewegung da drin spürte, ging ihr auf, dass es noch nicht so weit war.
„Da ist noch eines, gute Frau. Ihr seid mit zweien gesegnet! Presst jetzt“, befahl Maris, als sie der Frau das Holzklötzchen wieder zwischen die Zähne schob. „Es ist noch eines auf dem Weg.“
Es brauchte die gesamte noch verbliebene Kraft der Frau, um auch diesen Sohn auf die Welt zu bringen, und die Nachgeburt kam gnadenvollerweise kurz darauf.
„Sie wird schlafen“, erklärte Maris Thomas. „Die beiden Kleinen waren im Mutterleib wohl ineinander verhakt und so kam das Erste verkehrt herum.“
Sie reichte ihm ein kleines Päckchen Kräuter mit der Anweisung diese mit Wasser aufzukochen und der Frau so oft zu trinken zu geben, wie sie trinken konnte. „Schickt nach Witwe Maggie. Wenn Ihr sie braucht. Sie wird noch etwas bluten, aber nicht allzu sehr.“ Sie wandte sich Maggie zu und sagte, „gibt es da nicht wohl eine Amme im Dorf? Wie steht es mit der Tochter vom Schmied?“
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