Das Rascheln von Rosmarin (Historische Romane) (German Edition)
Maris ihnen freudig entgegen zog, selbst wenn es Händel oder Streit sein könnten – oder andere interessante Dinge. Solange Lord Merle, ihr Vater, nicht zugegen war, übersah Maris mit der Hilfe von Langumonts Truchsess das Lehen. Allegra hingegen begnügte sich gerne mit dem Sticken von Wandteppichen, welche in großer Zahl die Wände zierten, oder mit der Beaufsichtigung der Ladys beim Nähen. Bisweilen, wenn sie dazu ermuntert wurde, wählte sie einige Stoffe aus oder entschied, welches Fleisch zur Abendtafel aufgetischt wurde, aber niemals ging es so weit, dass sie sich mit der Verwaltung des Gutes befasst hätte.
Derlei blieb frohgemut ihrer enthusiastischen Tochter überlassen, das einzige Kind von Allegra und Merle und die Alleinerbin des reichen Lehens von Langumont. Es war nur gut und richtig, dass eine Frau, welche die Erbin eines solchen Lehens war, sich auf das Verwalten desselben gut verstand – das Heim eines jeden Leibeigenen und Händlers kannte; wusste, welche Felder dem Lehensherr zustanden und welche den Bauern gehörten. Ebenso kannte sie jeden Fuß von jedem Hektar Wald und ritt mit ihrem Vater aus, wann immer er es ihr gestatten mochte.
Als sie fast am Fuße der Treppe angelangt war, hielt Maris kurz an, um Kopfbedeckung und Brusttuch zurechtzurücken. Die Herrin von Langumont mochte beschäftigt sein, aber nie durfte man sie in Eile sehen.
Um diese Tageszeit, am späten Nachmittag, wenn die Wintersonne schon schwer über den Baumwipfeln hing, waren keine Ritter mehr in der Halle zu sehen, sondern nur Leibeigene, die eifrig hin und her liefen, um das abendliche Mahl vorzubereiten. Nur ein Mann, gekleidet in feine Gewänder, stand ganz alleine in der Nähe der Feuerstelle, die sich fast über die gesamte Länge einer Wand dort erstreckte. Er schien die Halle zu beobachten und als Maris in sein Blickfeld kam, wandte er sich um, um sie zu betrachten.
Sie näherte sich ihm mit betont würdevoller Haltung. „Ich bin Lady Maris Lareux. Seid willkommen im Bergfried zu Langumont.“
Er war nicht überaus groß, aber größer als sie, und seine recht kleinen, aber durchdringenden, dunkelbraunen Augen glitten begierig über ihre Gestalt, als würde er jede Einzelheit wie einen großen Happen verschlingen wollen. Dem Alter nach stand er Allegra wohl näher als Maris und mochte so um die dreißig Lenze zählen.
Mit seinem schwarzen, glänzenden Haar, dem modischen Schnurrbart und dem ordentlich gestutzten Bart, war er durchaus nicht unangenehm anzuschauen und auf den ersten Blick schien er gepflegt und gut gekleidet. Als Maris seinem kühnen Blick mit einem ebensolchen begegnete, bemerkte sie einen verschmierten Fleck auf seinem Waffenrock etwa auf Höhe seiner Bauchmitte und ebenso den zerfransten Saum der Strumpfbänder an seinem linken Bein.
„Ich bin Bon de Savrille, Mylady. Ich hatte nicht erwartet ... man ließ mich in dem Glauben, die Herrin von Langumont hieße Allegra.“
„Lady Allegra ist meine Mutter“, erklärte ihm Maris. „Sie trug mir auf Gäste willkommen zu heißen und nach ihren Bedürfnissen zu sehen, da sie anderweitig beschäftigt ist. Darf ich Euch Speis oder Trank anbieten? Wenn Ihr eine Botschaft für meine Mutter habt, so werde ich sie gerne weitergeben.“
„Nein“, erwiderte er, wobei sein Blick wieder über sie glitt und sie das Bedürfnis spürte nach unten zu blicken, um nachzusehen, ob die Schnüre am Ausschnitt ihres Bliaut auch richtig geschnürt waren.
„Nein, ich begehre nicht mit ihr zu sprechen, sondern mit jemand anderem.“
„Aber Ihr batet darum, mit der Lady von Langumont zu sprechen“, fragte Maris noch einmal nach. „Bringt Ihr Neuigkeiten? Von meinem Vater?“ Eine jähe Angst machte sich in ihrer Magengrube breit.
„Nichts von alledem. Ich begehre lediglich ein Lager für die Nacht, da ich mich auf dem Heimweg befinde. Ich bat um ein Wort mit Lady Allegra einzig und allein, weil mir ihr Name bekannt war. Ich kannte sie vor langer Zeit und hatte gehört, dass sie hier nun die Herrin sei.“ Er lächelte und auch wenn er es wahrscheinlich als ein warmes Lächeln gemeint hatte, erschein es Maris, als wäre es in etwa so ranzig wie ein zu lang gekochter Hase.
Der Mann war absonderlich, aber sie empfand keine Furcht vor ihm. Nein, sie hatte nichts zu befürchten; weder vor ihm noch vor irgendeinem anderen Mann, solange sie auf Langumont weilte. Bei der kleinsten Bewegung auch nur einer ihrer Finger
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