Das Reich der Sieben Städte
dem Leben des Imperiums bemalten Ziegel fühlten sich durch das dünne Gewebe ihrer Sklaventunika glatt an. Felisin starrte die fliegenübersäte Gestalt an, die wortlos vor dem hingekauerten Priester Feners stand. Sie konnte nicht einmal das kleinste Stückchen bloße Haut sehen, konnte nichts von dem Mann selbst erkennen – die Fliegen bedeckten ihn absolut vollständig, und unter ihnen lebte der Mann in einer Dunkelheit, in der ihn nicht einmal die Wärme der Sonne erreichen konnte. Die Wolke um den Priester des Vermummten dehnte sich jetzt nach allen Seiten hin aus, und Felisin zuckte zurück, als unzählige kalte Insektenbeine ihre nackte Haut berührten, blitzschnell ihre Schenkel hinaufkrabbelten; sie zog den Saum der Tunika eng um sich herum, presste die Beine fest zusammen.
Der Fener-Priester begann zu sprechen. »Die Dürstende Stunde ist längst vorbei, Akolyth. Geh zurück in deinen Tempel.« Ein humorloses Grinsen glitt bei diesen Worten über sein Gesicht.
Der Diener des Vermummten gab keine Antwort, doch es schien, als würde sich die Tonhöhe des Summens ändern, bis die Musik unzähliger schwirrender Flügel Felisins Knochen vibrieren ließ.
Die tief liegenden Augen des Priesters verengten sich, und sein Tonfall veränderte sich ebenfalls. »Ach, nun gut. Ich war tatsächlich einmal ein Diener Feners, aber ich bin es nicht mehr, schon seit Jahren nicht mehr. Feners Berührung kann nicht von meiner Haut abgewaschen werden. Es scheint allerdings, als würde der Eber des Sommers mir zwar keine Liebe mehr entgegenbringen – Euch allerdings noch viel, viel weniger.«
Felisin erschauerte innerlich, als das Summen und Brummen sich schnell veränderte, Worte formte, die sie verstehen konnte. »Geheimnis ... zeigen ... jetzt...«
»Dann los«, knurrte der ehemalige Diener Feners, »zeig's mir.«
An den folgenden Augenblick sollte Felisin sich noch lang erinnern und oft darüber nachdenken. Vielleicht handelte Fener, schlug die Hand eines aufbrausenden Gottes zu, oder das Geheimnis war der Spott der Unsterblichen, ein Witz, der weit über ihr Begreifen hinausging, doch in jenem Augenblick brach sich das in ihr anschwellende Entsetzen Bahn, die Betäubung ihrer Seele wurde mit einem Schlag ausgebrannt, als die Fliegen explosionsartig auseinander barsten, in alle Richtungen davonschwirrten und dabei enthüllten ... dass sich nichts unter ihnen befand.
Der ehemalige Fener-Priester zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen; seine Augen waren weit aufgerissen. Von der anderen Seite des Rings klangen die Schreie eines halben Dutzends Wachen herüber, aber es waren nur unartikulierte Laute, die ihre Kehle verließen. Ketten schnappten, als andere in der Reihe an ihnen rissen, als ob sie fliehen wollten; die eisernen Ösen in der Mauer strafften sich, doch die Ösen hielten ebenso wie die Ketten. Die Wachen eilten auf sie zu, und die Reihe wich gehorsam wieder zurück.
»Also, das«, murmelte der tätowierte Mann erschüttert, »war wirklich unangebracht.«
Eine Stunde verstrich – eine Stunde, in der das Geheimnis, der Schrecken und das Entsetzen, die der Priester des Vermummten verbreitet hatte, tief in Felisin einsanken und zu einer weiteren Schicht wurden, wenn auch nicht zur letzten in einem anscheinend niemals endenden Albtraum, so doch zur zuletzt entstandenen. Ein Akolyth des Vermummten ... der überhaupt nicht da war. Das Summen kleiner Flügel, aus dem sich Worte bildeten. War das der Vermummte selbst gewesen? War der Lord des Todes gekommen, um unter den Sterblichen zu wandeln? Und warum war er vor einem ehemaligen Priester Feners stehen geblieben? Welche Botschaft lag in dieser Offenbarung?
Doch allmählich verblassten die Fragen in ihrem Innern wieder; die Betäubung sickerte erneut in sie ein, die kalte Verzweiflung kehrte zurück. Die Imperatrix hatte den Adel einer Säuberung unterzogen, hatte den Häusern und Familien ihren Reichtum entrissen, hatte die Mitglieder dieser Häuser und Familien dann im Schnellverfahren des Verrats angeklagt, für schuldig befunden und schließlich in Ketten gelegt. Was den ehemaligen Priester zu ihrer Rechten und den großen, viehischen Mann zu ihrer Linken betraf, der alle Merkmale eines gemeinen Verbrechers aufwies – ganz sicher konnte keiner von ihnen behaupten, von adligem Blut zu sein.
Sie lachte leise, ein Laut, der beide Männer überraschte.
»Hat sich dir gerade das Geheimnis des Vermummten enthüllt, Mädel?«, fragte der ehemalige
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