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Das Schloß

Das Schloß

Titel: Das Schloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Bekannten seine Art den Brief stumm vorzuzeigen, denn zu sprechen wagt er oben nicht, ärgerlich war, so war es doch schändlich daß niemand ihm half und es war eine Erlösung, die wir aus Eigenem uns freilich auch und längst hätten verschaffen können, als ein Knecht, dem vielleicht der Brief schon einigemal aufgedrängt worden war, ihn zusammenknüllte und in einen Papierkorb warf. Fast hätte er dabei, so fiel mir ein, sagen können: ‚Ähnlich pflegt ja auch Ihr Briefe zu behandeln.’ So ergebnislos aber diese ganze Zeit sonst war, auf Barnabas wirkte sie günstig, wenn man es günstig nennen will, daß er vorzeitig alterte, vorzeitig ein Mann wurde, ja in manchem ernst und einsichtig über die Mannheit hinaus. Mich macht es oft sehr traurig ihn anzusehn und ihn mit dem Jungen zu vergleichen, der er noch vor zwei Jahren war. Und dabei habe ich gar nicht den Trost und Rückhalt, den er mir als Mann vielleicht geben könnte. Ohne mich wäre er kaum ins Schloß gekommen, aber seitdem er dort ist, ist er von mir unabhängig. Ich bin seine einzige Vertraute, aber er erzählt mir gewiß nur einen kleinen Teil dessen, was er auf dem Herzen hat. Er erzählt mir viel vom Schloß, aber aus seinen Erzählungen, aus den kleinen Tatsachen, die er mitteilt, kann man beiweitem nicht verstehen, wie ihn dieses so verwandelt haben könnte. Man kann insbesondere nicht verstehn, warum er den Mut, den er als Junge bis zu unserer aller Verzweiflung hatte, jetzt als Mann dort oben so gänzlich verloren hat. Freilich, dieses nutzlose Dastehn und Warten Tag für Tag und immer wieder von neuem und ohne jede Aussicht auf Veränderung, das zermürbt und macht zweifelhaft und schließlich zu anderem als zu diesem verzweifelten Dastehn sogar unfähig. Aber warum hat er auch früher gar keinen Widerstand geleistet? Besonders da er bald erkannte, daß ich recht gehabt hatte und für den Ehrgeiz dort nichts zu holen war, wohl aber vielleicht für die Besserung der Lage unserer Familie. Denn dort geht alles, die Launen der Diener ausgenommen, sehr bescheiden zu, der Ehrgeiz sucht dort in der Arbeit Befriedigung und da dabei die Sache selbst das Übergewicht bekommt, verliert er sich gänzlich, für kindliche Wünsche ist dort kein Raum. Wohl aber glaubte Barnabas, wie er mir erzählte, deutlich zu sehn, wie groß die Macht und das Wissen selbst dieser doch recht fragwürdigen Beamten war, in deren Zimmer er sein durfte. Wie sie diktierten, schnell, mit halb geschlossenen Augen, kurzen Handbewegungen, wie sie nur mit dem Zeigefinger ohne jedes Wort die brummigen Diener abfertigten, die in solchen Augenblicken schwer atmend, glücklich lächelten oder wie sie eine wichtige Stelle in ihren Büchern fanden, voll darauf schlugen und, soweit es in der Enge möglich war, die andern herbeiliefen und die Hälse danach streckten. Das und ähnliches gab Barnabas große Vorstellungen von diesen Männern und er hatte den Eindruck, daß wenn er so weit käme, von ihnen bemerkt zu werden und mit ihnen paar Worte sprechen zu dürfen, nicht als Fremder, sondern als Kanzleikollege, allerdings untergeordnetester Art, Unabsehbares für unsere Familie erreicht werden könnte. Aber soweit ist es eben noch nicht gekommen und etwas was ihn dem annähern könnte wagt Barnabas nicht zu tun, trotzdem er schon genau weiß, daß er trotz seiner Jugend innerhalb unserer Familie durch die unglücklichen Verhältnisse zu der verantwortungsschweren Stellung des Familienvaters selbst hinaufgerückt ist. Und nun, um das Letzte noch zu gestehn: Vor einer Woche bist Du gekommen. Ich hörte im Herrenhof jemanden es erwähnen, kümmerte mich aber nicht darum; ein Landvermesser war gekommen, ich wußte nicht einmal was das ist. Aber am nächsten Abend kommt Barnabas – ich pflegte ihm sonst zu bestimmter Stunde ein Stück Wegs entgegenzugehn – früher als sonst nachhause, sieht Amalia in der Stube, zieht mich deshalb auf die Straße hinaus, drückt dort das Gesicht auf meine Schulter und weint minutenlang. Er ist wieder der kleine Junge von ehemals. Es ist ihm etwas geschehn, dem er nicht gewachsen ist. Es ist als hätte sich vor ihm plötzlich eine ganz neue Welt aufgetan und das Glück und die Sorgen aller dieser Neuheit kann er nicht ertragen. Und dabei ist ihm nichts anderes geschehn, als daß er einen Brief an Dich zur Bestellung bekommen hat. Aber es ist freilich der erste Brief, die erste Arbeit, die er überhaupt je bekommen hat.«
    Olga brach ab. Es war still bis auf

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