Das spanische Medaillon
Ein großer, breiter Kopf wie meiner. Den schüttelte er und stieg wieder auf. Ich hab’ nur seine Augen gesehen, dann das Medaillon, das er hervorzog und küsste, bevor er es wieder verschwinden ließ. Ich hab’ noch gedacht: Das ist dein Tod! So sieht also dein Tod aus – wie du! Und das Medaillon, das er trägt, das sieht fast aus wie das, das du mal hattest!«
»Dummes Geschwätz! Er ist noch immer sternhagelvoll!«, kommentierte sein Weib von hinten höhnend diese Worte. Sie hatte inzwischen weitere Fische zum Räuchern auf Holzstäbe gesteckt. Während sie zum Räucherofen gin, um sie hineinzuhängen, sagte Gomms:
»Warum sah er so aus wie ich? Weil er gekommen war, mich zu holen, und ich ihn gleich erkennen sollte! Ich machte die Augen zu und hielt ganz still. Da hörte ich ihn lachen und davongaloppieren. Sein Blick, so kalt, so scharf. Wie ein Messer, das dir ins Fleisch schneidet bis auf den Knochen ...«
Als wäre dies jedoch das Letzte gewesen, was er auf dieser Welt zu sagen hatte, verstummte er.
»Warum hat er Sie verschont, wenn Sie so sicher waren, dass er Sie holen wollte?«, fragte ich, denn wenn mir etwas übel aufstößt, dann sind es Aberglaube und Unlogik.
Gomms’ Gesicht wurde zu einer Grimasse der Unwissenheit.
War der Reiter wirklich von Kapells Mörder? Warum sah er Gomms so ähnlich? Was für ein Medaillon war das? Und was für ein verlorenes Medaillon? Diese Fragen raubten mir in den folgenden Nächten den Schlaf. Die Hauptfrage drohte darüber fast in Vergessenheit zu geraten: Warum wurde von Kapell umgebracht?
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1 Der Verlag hat die Skizze des Johann Roderich Gomms, freilich bloß stümpferhaftes Bleistiftgekritzel, idealisierend nachstechen lassen.
7
Es war mit einem Male bitterkalt geworden. Das passte gut zur Stimmung: Das ganze Land beidseits der Havel wurde vom Schrecken regiert. Ein so blutiges Verbrechen hätte besser in die Zeit der Wendenfürsten gepasst als in unser aufgeklärtes und fortschrittliches 19. Jahrhundert. Schnelle Schritte ersetzten fortan das landläufige gemächliche Schreiten. Kein Mann blieb mehr lange aus oder spazierte, das Tobakspfeifchen im Anschlag, übers Eis der zugefrorenen Havel. Auch ich brauchte Zeit, um mich von dem Schock zu erholen. Die Bluttat war fast vor unserer Haustür geschehen! Selbst bei der liebsten Tagesbeschäftigung der Landfrauen – dem Klatschen und Tratschen in den warmen Stuben der Bekannten – war eine ungewöhnliche, der Sache wesensfremde und gar nicht dienliche Unrast zu beobachten. Keine wollte allein unterwegs sein, keine wollte von der Dunkelheit überrascht werden. Neues aus Deetz? , fragte man den wandernden Brezelburschen Conradi, den Pastor Blume, der bei der Beerdigung so wunderschön gepredigt hatte, dass er die schreckliche Mordtat fast vergessen machte. Kaum aber war die Antwort eingeheimst, trat eine jede und ein jeder schnell wieder den Rückzug in die Burg der eigenen vier Wände an und verrammelte Türen und Fenster. Die Kälte drang in die Knochen – und die Angst vor dem Beilmörder. Die Christen sahen den Teufel in ihm, Napoleon.
Ich war entschlossen, Karl August von Kapells letzte Gesprächspartner aufzusuchen, selbst wenn Herr von Schlechtendal dies vor mir schon getan hatte. Jérôme und ich würden ohnehin Weihnachten und Neujahr in Berlin verbringen, da Evelyn uns eingeladen hatte – wie jedes Jahr seit Großmutter Marie tot war. Am 22. erhielten wir einen Brief von ihr, in dem sie uns wissen ließ, dass es nun unwideruflich so weit sei: Königin und König würden endlich zurückkehren! Nun, Papier und Tinte sind geduldig. Ein Brief Ihrer Majestät höchstselbst hatte mich dies ja bereits Ende November glauben machen sollen:
»Wir denken, am 14. oder 15. Dezember hier abzufahren und mit Gottes Hilfe am 23. gegen Mittag in Berlin einzutreffen. Es wird einem ganz elend vor Seligkeit, wenn man recht daran denkt. An zwei Augenblicke vor allem kann ich nicht denken, ohne dass mir die Tränen in die Augen kommen, nämlich, wenn ich zum ersten Mal die Türme von Berlin wiedersehen werde, und dann, wenn mein Wagen von der Brücke nach links abbiegen wird und ich fühle, wie ich die Rampe des Schlosses hinauffahre! Denken Sie sich, liebe Freundin: Der Magistrat hat mir mitgeteilt, dass sie mir einen Wagen schenken wollen zum Einzug, samt Pferden und Pferdegeschirr in meinen Lieblingsfarben!«
Die Allgeliebte brauchte es nicht hinzuzusetzen: Silber und Lila! Ein wenig ging es in diesem
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