Das Spinnennetz
an seinen Vater. Er hatte keine Zeit, Benjamin Lenz; er arbeitete für seinen Tag.
Theodor hatte ihn nicht nur wegen der Duplikate abgeschafft. Seine Klugheit roch er. Er fühlte das Judentum Benjamins; wie ein Jagdhund überall Wild wittert, so witterte Theodor Juden, wo er einer Überlegenheit begegnete.
Lenz kam eine halbe Stunde später, er ließ Theodor warten, er ließ jeden warten, der ihn brauchte. Aber Theodors Wunsch zu erfüllen, weigerte er sich. Er weigerte sich immer. Theodor Lohse zu den anderen führen? Den Genossen Trattner? Sie kannten ihn, kannten das Porträt Theodors. Klaften hatte ihn noch einigemal gezeichnet: naturgetreu.
Jene Affäre Klaften hatte Theodor begraben. Er fragte, wie sie ausgefallen sei. »Überhaupt nicht«, sagte Lenz. Thimme, der junge Attentäter, war ein Polizeispitzel gewesen. Goldscheider lag im Krankenhaus. Klaften war ein bekannter Maler. Das Porträt Theodors hatte in der Ausstellung einen Preis bekommen. Nach einer Viertelstunde weigerte sich Benjamin Lenz nicht mehr. Las er in den Menschen? Alles könnte man ja vergessen, sagte Lenz, wenn Theodor als Freund käme. Oder scheinbar als Freund.
Sie gingen.
XVI
Sie saßen, drei Männer, im Café auf dem Potsdamer Platz. Zwischen ihnen flogen gleichgültige Worte, Mißtrauen würgte in ihren Hälsen, Angst lähmte ihre Zungen. An einem Nebentisch saß Benjamin Lenz.
Theodor bereute. Es war zu spät. Er hatte nicht geahnt, wie schwer es ihm kommen würde. Niemand half ihm. Er sollte anfangen. Es war, als weidete man sich an seiner Qual.
Und es ist genauso wie einmal – lang war es her – in der Schule, wenn er anderes sagen soll als auswendig Gelerntes. Es war Lärm im Café, an den Nebentischen summte das Gespräch der Gäste, Tassen klirrten, und dennoch schlug ihm eine Stille entgegen, als beherrschte das Warten alle Menschen. Erst als sie durch die Straßen gingen, gewann er sich wieder. Er ging zwischen zwei kleinen schwarzen Männern, die sich jedes Wort einprägten.
Er verstellte sich nicht. Wozu brauchte er Verstellung? Er konnte immer ableugnen; aufrichtiges Geständnis für erheucheltes ausgeben. Seine wahren Gründe klangen überzeugend.
Er erzählte von seiner Unzufriedenheit; schilderte das Mißtrauen, das ihn umgab; gestand, daß ihn Ehrgeiz trieb.
Er lüftete später, in einem Büro, Zipfel von Geheimnissen.
Es war spät, als er schied, er fuhr nach Potsdam, las ein Abendblatt. Als er aufblickte, sah er Benjamin Lenz. Er saß Theodor gegenüber.
Sie gingen durch den Potsdamer Abend, durch alte Gäßchen, die ganz unwahrscheinlich aussahen, und Benjamin führte, und Theodor wußte nicht, daß er geführt wurde. Vom 2. November sprach Benjamin Lenz, er glaubte nicht an Revolutionen. Er glaubte an ein kleines Blutbad, kaum der Sorgen wert, in Deutschland nicht selten und eigentlich jede Woche wahrscheinlich. Vielleicht sprach er diesmal aufrichtig, Benjamin Lenz?
Es war ein wehmütiger Abend, mit violetten und gelb schimmernden Wolken, mit einem zahmen, behutsamen Abendwind, und Theodor ging, durch raschelndes Laub, die Straße, die zum Bahnhof führte, entlang und fühlte eine Rührung, wie damals in den Feldern des Herrn v. Köckwitz.
Und eine Wärme kam von Benjamin Lenz, so daß Theodor zu sprechen anfing und seine Worte nicht mehr wägte und über Trebitsch klagte und über die Undankbarkeit überhaupt. Was machte ein Mann von den Fähigkeiten Lohses bei der Reichswehr?
Was machte so ein Mann bei der Reichswehr? Es kam, ein erquickendes Echo, von Benjamin Lenz zurück. Wer hatte ihn beiseite geschoben? Es kam darauf an, es zu erfahren. Man mußte seinen Gegner kennen.
Oh, wie wußte Lenz Bescheid. Man sollte sich mit Benjamin Lenz gut verhalten.
Wieviel wußte er von Theodor allein? Alles. Ahnte er auch die Angelegenheit Klitsche? Er kannte sie. Er sagte:
»Sie können nicht umsonst Blut vergossen haben, Herr Leutnant Lohse. Andere können über Leichen gehen, der Idee wegen oder weil sie Mörder sind von Geburt. Sie aber, Herr Lohse, glauben längst nicht mehr an die Idee und sind kein geborner Mörder. Sie sind auch kein Politiker. Sie wurden von Ihrem Beruf überfallen. Sie haben ihn sich nicht gewählt. Sie waren unzufrieden mit Ihrem Leben, Ihren Einnahmen, Ihrer sozialen Stellung. Sie hätten versuchen sollen, im Rahmen Ihrer Persönlichkeit mehr zu erlangen, niemals aber ein Leben, das Ihrer Begabung, Ihrer Konstitution zuwiderläuft.«
Nein, Theodor konnte es nicht, durfte es
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