Das Testament eines Excentrischen
folgen, für die der gewaltige Strom eine mehr natürliche Grenze bildet, als die Längen-und Breitengrade, die sie an ihren anderen geodätischen Grenzen scheiden.
Es ist kaum zu verwundern, daß die prächtige Wasserader von mehr als viertausendfünfhundert Meilen (7240 Kilometer) Länge im Laufe der Zeit verschiedene Namen erhalten hat, z. B. Misi Sipi, d. h. in der Algonquinensprache »Großes Wasser«, ferner Rio d’El Spiritu Santo durch die Spanier; Colbert, in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, durch Cavelier de la Salle, endlich Buade durch den Forschungsreisenden Joliet, bis er unter der poetischen Feder Chateaubriand’s der Meschacebo wurde.
Diese jetzt durch die Bezeichnung Mississippi ersetzte Namenreihe hat natürlich nur ein geographisches Interesse, das Leute wie die Titburys nicht im geringsten kümmerte, so wenig wie die Ausdehnung des Stromgebietes, obgleich dieses drei Millionen zweimalhunderttausend Quadratkilometer umfaßt. Für sie war es das wichtigste, daß der Strom sie dahin beförderte, wohin sie sich zu begeben hatten. Der Fahrt sollte sich keinerlei Hinderniß bieten. Was man den »industriellen« Mississippi nennt, der schon durch zahlreiche Nebenflüsse, wie Minnesota, Cedar, Turkey, Iowa, Saint-Croix, Chippewa und Wisconsin, verstärkt ist, fängt stromaufwärts von Saint-Louis in Minnesota an, und stromabwärts von den rauschenden Fällen von Saint-Antoine. In Saint-Louis selbst befinden sich die beiden letzten Brücken, die nach einem Laufe von zwölfhundert Meilen (1930 Kilometer) den Verkehr von einem Ufer zum andern vermitteln.
Längs der Grenze von Illinois glitt der »Black Warrior« an sechzig Toisen hohen Kalksteinwänden vorüber, die auf der einen Seite den letzten Ausläufern der Ozarkberge, auf der andern den letzten Erhebungen von Illinois angehören.
Von Cairo aus wechselte dieses Bild vollständig. Hier begann die ungeheuere Alluvialebene, durch die einer der größten Seitenströme des Mississippi, der Ohio, diesem eine sehr beträchtliche Wassermasse zuführt. Doch trotz dieses Zuflusses und, weiter unten, der Zuflüsse, die vom Arkansas und vom Rothen Flusse kommen, ist die Mächtigkeit des Stromes in New Orleans, also an seiner Ausmündung in den mexikanischen Meerbusen, eine geringere, als in Saint-Louis. Das kommt daher, daß ein Theil seines Wassers von den seine niedrigen Ufer begrenzenden Bayous (nicht schiffbare Nebenflüsse und Wasserbecken) aufgenommen wird. Hierdurch erscheint die sogenannte Sunk Country, das »versunkene Land«, fast völlig überschwemmt. Es ist das eine weitausgedehnte Gegend im Westen des Stromes, die vielfach von Lagunen unterbrochen, von Sümpfen bedeckt und von langsam fließenden oder ganz stagnierenden Gewässern durchzogen ist – eine Bodensenke, die durch das Erdbeben von 1812 entstanden zu sein scheint.
Geschickt und vorsichtig gesteuert eilte der »Black Warrior« dahin, oft zwischen wenig beständigen Inseln, die ihre Gestalt oder gar ihre Lage verändern, worin sie durch Hochwasser und starke Strömungen beeinflußt werden, oder die binnen wenigen Monaten erst neu entstehen, wenn eine Barre angeschwemmten Sand und Schlamm zurückhält. Die Schifffahrt auf dem Mississippi ist also nicht ohne ernste Schwierigkeiten, die die geschickten Lootsen von Louisiana aber glücklich zu überwinden wissen.
Auf ihrer Fahrt kamen die Titburys an Memphis, jener bedeutenden Stadt Tennessees vorbei, wo die Neugierigen einige Stunden lang Gelegenheit gefunden hatten, sich Tom Crabbe bei dessen erster Ausreise anzusehen.
»Nach dem Excelsior Hotel kommt niemand anders als zu Wagen.« (S. 301.)
Dann tauchte auf dem Abhange eines Hügels Helena auf, jetzt noch ein Marktflecken, der sich aber bald zur Stadt auswachsen dürfte, denn die Dampfer müssen hier ziemlich häufig anlegen. Weiterhin zeigte sich am rechten Ufer, nach Passierung der Arkansasmündung, eine zweite Gegend mit Bayous, Sümpfen und einem beweglichen Boden, in dem einst das Dorf Napoleon gänzlich verschwand. Wenn der »Black Warrior« bei Vicksburg, einer der wenigen gewerbthätigen Städte am Mississippi, nicht anlegte, so lag das nur daran, daß der treulose Strom infolge einer außergewöhnlichen Hochfluth sich jetzt ein neues Bett einige Meilen südlich davon gebrochen hat. Dagegen ankerte der Dampfer eine Stunde lang vor Natchez, dessen Handel eine Menge Flußschiffe beschäftigt, die nach allen Orten der Nachbarschaft verkehren. Der Mississippi
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