Das Teufelsspiel
sich für den Tod. Selbstmord war immer eine Option, wenngleich keine einfache. (Versuch doch mal, dich umzubringen, wenn du bloß deinen Kopf bewegen kannst.)
Andere hingegen setzten sich zu Wehr.
»Hast du genug?«, fragte der schlanke junge Mann in Stoffhose, weißem Hemd und dunkelrot geblümter Krawatte.
»Nein«, erwiderte Rhyme angestrengt atmend. »Ich will noch weitermachen.« Er war auf einem komplizierten Trimmrad festgeschnallt. Sie befanden sich in einem der Gästezimmer im ersten Stock seines Stadthauses am Central Park West.
»Ich glaube, es reicht allmählich«, sagte Thom, sein Betreuer. »Du bist schon über eine Stunde dabei. Deine Herzfrequenz ist ziemlich hoch.«
»Es ist, als würde ich auf das Matterhorn fahren«, keuchte Rhyme. »Ich bin Lance Armstrong.«
»Das Matterhorn gehört nicht zur Tour de France. Es ist ein Berg. Man kann an ihm hochklettern, aber nicht per Fahrrad.«
»Danke für die Belehrung, Thom. Ich hab’s nicht wörtlich gemeint. Wie viel habe ich geschafft?«
»Fünfunddreißig Kilometer.«
»Lass uns noch fünfundzwanzig dranhängen.«
»Wohl kaum. Fünf.«
»Zehn«, feilschte Rhyme.
Der gut aussehende Betreuer hob seufzend eine Augenbraue. »Also gut.«
Mehr als zehn hätte Rhyme ohnehin nicht gewollt. Seine Stimmung hob sich. Er liebte es zu gewinnen.
Die Übung ging weiter. Die Maschine wurde zwar durch seine Muskeln angetrieben, doch es bestand ein gewaltiger Unterschied zu den Trimmrädern in einem Fitnesscenter. Der Stimulus, der den Impuls durch die Nervenbahnen schickte, kam nicht von Rhymes Gehirn, sondern von einem Computer, der durch Elektroden mit den Beinmuskeln verbunden war. Bezeichnet wurde ein solches Gerät als FES-Fahrradergometer. Die funktionelle elektrische Stimulation ahmte mittels Computer, Kabeln und Elektroden das Nervensystem nach und schickte winzige Stromstöße in die Muskeln, wodurch diese sich genauso verhielten, als ginge der Impuls vom Gehirn aus.
Für alltägliche Aktivitäten wie das Gehen oder den Gebrauch von Gegenständen kam die FES nur selten zur Anwendung. Ihr eigentlicher Nutzen war therapeutischer Natur und hatte zum Ziel, den Gesundheitszustand von Schwerbehinderten zu verbessern.
Rhyme verdankte die Anregung zu diesen Übungen einem Mann, den er sehr bewunderte: dem verstorbenen Schauspieler Christopher Reeve, der als Folge eines Reitunfalls eine sogar noch gravierendere Schädigung davongetragen hatte als Rhyme. Durch Willenskraft und unermüdliches Training – und zur Überraschung der meisten Schulmediziner – war es Reeve gelungen, an zuvor paralysierten Körperteilen einige motorische und sensorische Fähigkeiten zurückzuerlangen. Nachdem Rhyme jahrelang erwogen hatte, sich einer riskanten Rückenmarksoperation zu unterziehen, war er letztlich zu dem Entschluss gelangt, stattdessen wie Reeve ein konsequentes, hartes Übungsprogramm in Angriff zu nehmen.
Der vorzeitige Tod des Schauspielers hatte Rhyme dazu veranlasst, seine Anstrengungen noch zu verstärken, und Thom hatte daraufhin Robert Sherman ausfindig gemacht, einen der besten Rückenmarkspezialisten der Ostküste. Der Arzt hatte für Rhyme einen Übungsplan zusammengestellt, der das Ergometer, eine Wassertherapie und einen Laufapparat umfasste – ein großes Gerät mit computergesteuerten Roboterbeinen, die Rhyme »gehen« ließen.
Die Therapie hatte Erfolge gezeitigt. Rhymes Herz und Lunge waren gekräftigt worden. Seine Knochendichte entsprach der eines gesunden Mannes gleichen Alters. Die Muskelmasse hatte zugenommen. Er befand sich nun in nahezu der gleichen körperlichen Form wie einst als Leiter der Investigation and Resources Division des New York Police Department, der auch die Spurensicherung unterstand. Damals hatte er täglich viele Kilometer zu Fuß zurückgelegt und manche Tatorte sogar höchstpersönlich untersucht, was für einen Beamten im Range eines Captains äußerst ungewöhnlich gewesen war. Darüber hinaus hatte er überall in der Stadt Stein-, Erd-, Beton- oder Rußproben gesammelt und in einer forensischen Datenbank katalogisiert.
Dank Shermans Übungen wies Rhymes Körper, der oft stundenlang in gleicher Haltung mit dem Rollstuhl oder Bett in Kontakt blieb, weniger Druckstellen auf. Seine Darm- und Blasenfunktion besserte sich kontinuierlich, und er litt wesentlich seltener unter Harnwegsinfektionen. Zudem war seit Beginn der Übungen nur ein einziger Fall von autonomer Dysregulation aufgetreten.
Dennoch blieb
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