Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
heraus, der sein Gefängnis war, entwich dem Berg, der sein Grab war, quoll aus dem Haus, das sein Herz war. Seine Finger waren jetzt weit mehr als einfach nur Äste, seine Augen mehr als Spiegel seiner Seele, seine Zähne mehr als zerbrochenes Holz. Er, der zur Nacht wurde, könnte mit seinen tiefschwarzen Gewässern alles überschwemmen, könnte seine Wellen gegen weit entfernte Ufer peitschen lassen, könnte die ihn umgebende, nicht mehr bedrohlich wirkende Helligkeit verschlingen und überfluten.
    Die Nacht wandelte auf beiden Seiten der Dämmerung, unerschrocken und träumend.
    Spence legte die Seite auf den Schreibtisch. Er rieb sich die Augen. Zwei Tage. Hatte er wirklich zwei Tage lang geschrieben?
    Sein Magen knurrte. Er könnte etwas zu essen gebrauchen. Bridget würde am Frühstückstisch auf ihn warten. Vielleicht könnte er sich sogar dazu herablassen, ihr zu vergeben.
    Bevor er das Zimmer verließ, legte er eine leere Seite in die Schreibmaschine ein. Bei seiner Rückkehr würde sie auf ihn warten. An der Tür schaute er noch einmal zurück. Das weiße Papier glänzte ihn vorwurfsvoll an.
    »Keine Sorge, das WORT wird kommen«, beschwichtigte er das Papier, das Zimmer, das Haus. Und das Unbekannte, das ihm in diesen Mauern auflauerte. Dann schloss er die Tür.

 
     
     
    36. KAPITEL
     
    Sylva streute etwas Salz in das Feuer, um die Speichellecker fernzuhalten. Dann legte sie den Umschlag auf Annas Knie an die Stelle, wo die Schnitte am tiefsten waren. Die klebrige Mixtur tröpfelte aus dem Wickel heraus und lief Annas Bein hinunter.
    »Damit dürfte es Ihnen schon bald besser gehen«, sagte Sylva. »Was ist denn da drin?«, wollte Anna wissen.
    »Das Übliche. Kaminruß und Sirup gemischt mit ein wenig Kiefernharz. Eine Schnittwunde bedeckt man am besten mit Spinnweben, aber hier oben gibt es nicht so viele Spinnen.«
    »Aber entzündet sich die Wunde dadurch nicht?«
    »Nichts ist sauberer als Kaminruß. Gereinigt vom Feuer, verstehen Sie?«
    Die Wunde würde gut heilen. Aber die anderen Leiden, die Anna quälten, konnte Sylva wohl nicht lindern. Gegen die kranken Zellen, die wie Gift in ihr brannten, konnte sie nichts unternehmen. Und sie war auch nicht der Meinung, dass sie ihr in dieser Hinsicht hätte helfen sollen, selbst wenn sie die passenden Kräuter dafür kannte. Wenn man über heilende Kräfte verfügt, weiß man auch, wann man der Natur ihren Lauf lassen sollte. Wann man die Toten ruhen lassen und die Lebenden der Bestimmung ihrer Seele übergeben sollte.
    Anna war gebrandmarkt, über ihr Schicksal war ein Urteil gesprochen worden. Das stand unumgänglich fest. Bedauerlich war nur, dass ihr Leben gerade erst anfing, dass sie gerade erst dabei war, es mit all seinen Ecken und Kanten zu genießen. Aber Sylva wusste auch, dass die Kräfte der jungen Frau durch ihre Krankheit noch stärker wurden. Deshalb war es für Korban so einfach gewesen, sie herbeizurufen.
    Anna drückte den Wickel auf ihr Knie und nahm einen Schluck aus dem handgefertigten Tonbecher.
    »Vielen Dank, Miss—«
    »Hartley. Sylva Hartley.«
    »Danke auch für das Wasser. Ich habe noch nie so ein gutes Wasser wie hier oben auf dem Berg getrunken.«
    Sylva nickte zustimmend und legte einen Ast auf das Feuer.
    Anna schob es vor sich her, darüber zu reden. Niemand erinnert sich gern an solche Vorfälle. Und Sylva hatte in all den Jahren des Wartens gelernt, dass Geduld das einzige war, was man beherrschen musste. Schließlich hatte sie selbst geduldig auf diesen zweiten Vollmond im Oktober gewartet.
    »Sie wurden fast auf die andere Seite geholt.«
    »Bezeichnet man das so, wenn man von einem Geist ermordet wird?«
    »Ja. Man kann es aber auch einfach nur Pech nennen.« Sylva griff nach dem Kessel, der an einem Haken über dem Kamin hing. Sie goss etwas von dem dampfenden Wasser in Annas Becher. Dann ging sie zum Schrank, nahm ein paar Blätter aus einer Keramikdose, zerbröselte einige davon und gab Sie in Annas Becher.
    »Riecht gut. Wie Minze.« Anna atmete das duftende Aroma ein.
    »Ja, Minze und ein bisschen von der Wurzel einer Vogelkirsche. Ist gut gegen Ihre Kopfschmerzen.«
    »Woher wissen Sie, dass ich Kopfschmerzen habe?«
    »Ich bekomme immer Kopfschmerzen, wenn ich sie mit Zaubersprüchen vertreiben will. Wenn sie gerade erst gestorben sind, kann man sie zwar deutlicher sehen, aber sie lassen sich dann auch schwerer in ihr Grab zurückscheuchen.«
    Anna nippte an ihrem Tee und schaute Sylva von der Seite an.

Weitere Kostenlose Bücher