Das unsichtbare Buch
entscheidet er. »Wir reden noch darüber. Und ich möchte keinen Ärger mehr mit euch haben, verstanden? Sonst werde ich nämlich sehr ungemütlich …«
Als wir das Klassenzimmer betreten, drehen sich alle Köpfe zu uns um. Mir ist es furchtbar peinlich, dass die anderen mit dem Finger auf uns zeigen und über uns tuscheln.
Ich bin echt sauer. Ich hab die Faxen dicke.
»Mir reicht’s!«, sage ich zu Lucía. »Keine weiteren Seiten aus dem Unsichtbaren Buch !«
»Warum denn nicht?«, fragt sie, als wüsste sie nicht, wie ernst die Lage ist.
»Das fragst du noch?«, zische ich. Ich fasse es einfach nicht. »Reicht es dir immer noch nicht?«
Die Augen hinter den großen Brillengläsern sehen mich enttäuscht an. Wortlos beugt sie sich über ihr Heft und schreibt etwas hinein.
»Du hat überhaupt kein Rückgrat«, sagt sie nach einer Weile zu mir. »Und außerdem bist du blöd.«
Mit diesen Worten nimmt sie ihre Sachen, steht auf und setzt sich auf einen leeren Platz in der letzten Reihe.
Super! Jetzt habe ich endlich den ganzen Tisch für mich alleine. Ich hatte die Nase sowieso schon voll von ihr. Sie macht nichts als Stress.
Gleich nachdem ich nach Hause gekommen bin, bittet mich meine Mutter auch noch, den Tisch zu decken. Aber zum Glück kommt mein Vater aus seinem Arbeitszimmer, als ich gerade die Tischdecke ausbreite, und hilft mir.
»Wie war’s heute bei dir?«, frage ich ihn, um irgendetwas zu sagen.
»Sehr gut, mein Junge … Ich hab sogar schon den ganzen Nachmittag am Computer gesessen und drei neue Seiten geschrieben!«
Während wir das Besteck hinlegen, erzählt er mir mehr über den Roman. Er ist wirklich total begeistert von seiner Geschichte.
»Vorsicht! Die Suppe!«, verkündet mein Bruder Javier, der ins Esszimmer kommt, in den Händen den dampfenden Suppentopf.
Meine Mutter übernimmt es, die Suppe auszuteilen. Sie ist nämlich die Einzige in der Familie, die es schafft, Suppe auf die Teller zu schöpfen, ohne die Decke zu bekleckern. Dann fangen wir an zu essen. Inzwischen habe ich mich wieder ein wenig beruhigt.
»Heute Abend läuft ein lustiger Film im Fernsehen«, sagt mein Vater. »Wenn ihr wollt, sehen wir ihn uns gemeinsam an.«
»Wie heißt er?«, fragt Javier, der wie immer einen Tick schneller ist als ich.
» Eine total, total verrückte Welt . Es geht um ein paar Leute, die nach einem Schatz suchen.«
»Piraten?«, frage ich.
»Nein, so was nicht. Es geht um Leute, die noch heute an verborgene Schätze glauben. Das ist der Witz daran.«
»Glaubst du an verborgene Schätze?«, fragt ihn Javier.
»Na ja, irgendwie schon«, antwortet Papa nachdenklich. »Bücher schreiben ist so was Ähnliches wie nach einem Schatz suchen … So als würdest du davon träumen, eine Geschichte zu finden, die so spannend ist, dass alle sie lesen wollen. Ein gutes Buch ist so etwas wie ein kostbarer Schatz.«
»Dann … dann besitzt du viele Schätze, ja?«, frage ich.
»Ja, und mit dem Unsichtbaren Buch ist es jetzt so, als würde ich noch einen weiteren Schatz heben wollen.«
Der Film beginnt. Man sieht einen Mann, der in seinem Auto einen Abhang hinunterstürzt. Ein paar Leute eilen ihm zu Hilfe. Im Sterben verrät er ihnen, wo er einen Schatz vergraben hat.
Wir schütten uns aus vor Lachen, denn prompt rennen alle los und machen sich auf die Suche nach dem Schatz.
Der Film ist wirklich sehr lustig. DerWitz daran ist, dass man nicht weiß, ob es diesen Schatz tatsächlich gibt oder ob es sich nur um einen Scherz des Toten handelt. Deswegen hat man dem Film wahrscheinlich diesen komischen Titel gegeben.
Wenn man es sich recht überlegt … Vielleicht ist die Welt tatsächlich total verrückt.
»Ich muss mal eben aufs Klo«, sage ich und stehe auf.
Keiner achtet auf mich. Die anderen lachen sich schlapp über ein Ehepaar, das in einem Keller eingeschlossen ist und versucht, die Tür mit Dynamit aufzusprengen, um ins Freie zu gelangen. Nach der Explosion ist die Tür vollkommen unversehrt, aber die beiden sind über und über mit Farbstaub bedeckt. Eine urkomische Szene. Aber sie zeigt auch, dass es gefährlich sein kann, nach einem Schatz zu suchen …
Gerade als ich ins Badezimmer gehen will, sehe ich, dass die Tür zu Papas Arbeitszimmer wieder halb offen steht … Und der Computer ist eingeschaltet …
Ich bleibe einen Moment stehen und kämpfe gegen meine Neugier an. Währenddessen höre ich, wie Papa im Wohnzimmer schallend lacht und dabei in die Hände klatscht.
Ich
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