Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
beschäftigt, sein Zelt aufzubauen. Wieder andere versorgten die Pferde oder bereiteten das Lagerfeuer vor. Überall wurde gelacht und gescherzt. Selten hatten Krieger eine angenehmere Aufgabe gehabt, als einfach nur zu reiten. Kein Feind war ihnen begegnet, das Gelände leicht zu bewältigen und die Vorräte gut bemessen. Die Männer freuten sich auf Braten und Branntwein.
Um die fünfzig Männer unter Hauptmann Vigo ritten unterdessen in den Pass ein und waren nicht einmal besonders wachsam. Bisher hatten sie keinerlei Feindberührung gehabt, und sie rechneten auch hier nicht damit. Der Westen war nach Ansicht ihrer Führer und nach dem, was sie bisher erlebt hatten, völlig ungeschützt. Auch der Pass bot keine Herausforderung: nicht zu steil und bisher breit genug für Wagen und Geschütze. Der General sollte zufrieden sein. Hauptmann Vigo sah sich erfreut um. Steile, rote Felswände begrenzten den Passweg. Hier und da ragten kahle Sträucher aus dem Stein. Er glaubte plötzlich, ein Aufblitzen im Fels zu sehen, beobachtete genauer und lauschte.
Ein Vogelschrei ertönte. Der Hauptmann hatte nicht mehr die Zeit, zu überlegen, welchen Vogel er gehört haben könnte, denn ein Surren erfüllte schon die Luft, und daumenlange Armbrustbolzen hagelten auf die Männer nieder.
Vigo wollte einen Befehl brüllen, aber ein unglaublicher Schmerz im Hals brachte ihn zum Verstummen. Er kippte aus dem Sattel. Seine Männer griffen nach ihren Waffen und schrien durcheinander.
Unablässig regnete es Bolzen. Einige Hordenkrieger gaben ihren Pferden die Hacken, um nach vorn zu stürmen, andere rissen ihre Tiere herum, um zur Truppe zurückzufliehen. Pferde wieherten, schnaubten und rempelten sich an. Krieger ohne Führung wussten nicht wohin. Es ging zu wie im Tollhaus. Ein weiterer Vogelschrei, und die Felswände erwachten zum Leben. Barfüßige Rianer mit Zottelhaaren und -bärten, in rotgraue Kleidung gewandet, lösten sich vom Stein, sprangen in die Tiefe, landeten hinter Sätteln, auf Pferdehälsen und zwischen den Tieren und verhinderten jedes Entkommen. Wer Pech hatte und nicht durch einen Bolzen getötet worden war, fand sein Ende unter den schnell bluttriefenden Äxten der Bergjäger. Unbarmherzig zogen sie durch die Reihen und brachten den Tod.
Den scherzenden Hordenkriegern in der Schlucht erging es unterdessen nicht besser. Während sie den Rost für den mitgeführten Ochsen aufbauten und Fässer von den Wagen holten, flogen brennende Teerkugeln und Feuerpfeile von den Hügeln. Die überraschten Truppenführer schrien durcheinander und versuchten, eine Verteidigungslinie aufzubauen. Die Männer verschanzten sich hinter Wagen und Schilden, um den Pfeilen zu entgehen.
Kommandant Pantahas Korte ließ seine Pfeife fallen und blickte fassungslos um sich. Der Angriff war so kurz wie verheerend gewesen. Wagen brannten, brüllende Krieger rannten wie lebende Fackeln durchs Lager. Andere versuchten nur halbherzig, weil schutzlos, die Brände auszuschlagen.
Korte überlegte gerade, warum keine Pfeile mehr kamen, als Berittene von der Weggabelung her auf das Lager zustürmten. Sie preschten durch die Reihen der Horden, ritten Soldaten nieder, schlugen erbarmungslos mit ihren Waffen auf die Feinde ein. Die Truppenführer gaben es auf, Ordnung in die Reihen zu bringen. Der Verteidigungsring war längst gebrochen. Die Hordenkrieger stoben auseinander. Jeder kämpfte nur noch ums nackte Überleben.
Ihr Kommandant versuchte unterdessen, zu den Pferden durchzukommen. Sie waren geradewegs in eine Falle geraten, und der General musste unbedingt gewarnt werden. Ein junger Krieger stürzte schreiend und blutüberströmt vor seine Füße. Korte sprang über den zuckenden Körper hinweg, und ein Pferd streifte ihn schmerzhaft. Er wirbelte herum und fing die Axt des Angreifers mit seinem Schwert ab. Erneut krachten die Waffen aufeinander. Der Hauptmann der Horde griff an, schlug mit ganzer Kraft zu. Die Wucht seines Hiebes warf den Reiter aus dem Sattel. Der Kommandant zögerte keine Sekunde und bohrte ihm das Schwert in den ungeschützten Hals. Er hörte kaum das Röcheln, riss sein Schwert heraus, verfluchte, dass das Pferd nicht stehen geblieben war, und rannte hinterher. Um ihn herum kämpften und starben seine Männer, aber seine Nachricht an General Mattalan war wichtiger.
Neben ihm tauchte ein Bergjäger auf. Wie besessen schlug der Kommandant mit dem Schwert zu. Der Jäger parierte ein ums andere Mal mit seiner kurzen Axt.
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