Die Wiedergeburt (German Edition)
Prolog
Langsam pirschten sich die Wölfe an die Überreste der Flüchtlingskarawane heran. Einst waren die Flüch t linge von Westen aus aufgebrochen, um dem dort wüte n den Krieg zu entgehen. Den Schlachtfeldern waren sie entkommen, nicht aber der Gewalt. Ihre Hoffnung auf ein Leben in Frieden war vergebens gewesen.
Nun lagen sie reglos auf dem gefrorenen Boden. Der Blick ihrer Augen war leer.
Schneeflocken sanken herab und begannen, die ersten Körper mit einem weißen Tuch zu bedecken.
Zwischen den Trümmern einer umgestürzten Kutsche bewegte sich plötzlich der Leib einer jungen Frau. R ö chelnd atmete sie die eisige Luft ein, dann kroch sie über zerbrochene Holzlatten und unter der geborstenen Deic h sel hindurch.
Nicht weit entfernt, erspähte sie, zwischen den Le i chen zweier Maultiere, ein kleines Stoffbündel. Als sie es e r reicht hatte, nahm sie es sacht in ihre Arme. Ein Gefühl von Erleichterung überkam sie, als das Schreien eines Säuglings zwischen den Stoffbahnen hervordrang.
Mit steifen Fingern streifte sie das Bündel auseina n der. Augenblicklich bildete der warme Atem des Kindes kle i ne Wolken in der winterlichen Luft.
„Mein Sohn“, flüsterte sie, „den Göttern sei Dank, du bist unversehrt.“
Sanft strich sie ihm über die Wangen und drückte ihn an ihre Brust.
Die sich nähernden Wölfe machten ihr Angst. Sie konnte fühlen, wie ihr Leben aus dem Stich in ihrem Bauch herausblutete. Wenn sie erst aufgehört hatte zu atmen, würde ihr Kind zur Beute der Raubtiere werden.
Die Wölfe zerrten bereits an der Kleidung einiger t o ter Flüchtlinge. Bald würden sie sich nicht mehr mit t o tem Fleisch zufriedengeben.
In diesem Moment breitete sich ein Schatten über sie, und ihr war, als blickte sie in die Weiten eines sterne n übersäten Himmels.
Ihr Blick begegnete schimmernden Augen, die denen e i nes Raubtieres nicht unähnlich waren, jedoch ihre Furcht verfliegen ließen. Der warme Atem desjenigen, den sie herbeigesehnt hatte, netzte ihr Gesicht.
Ein Wink von ihm genügte, und die Wölfe zogen sich z u rück.
„Kümmere dich um meinen Sohn“, keuchte sie fl e hend. „Ich liebe ihn so sehr.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Eine tiefe Stimme fragte: „Wie ist sein Name?“
„Sein Name ist Larkyen!“
Mit letzter Kraft hob sie ihr Kind zum Nachthimmel, und zwei große Hände griffen nach ihm.
Dann sanken die Arme der Mutter herab, sie hörte auf zu atmen, und ihr Blick wurde leer.
Der Schatten verschwand, und mit ihm das Kind.
Die Wölfe begannen ihr blutiges Mahl fortzusetzen …
Kapitel 1 – Die weite Steppe
Der Nordwind trieb leichte Wellen über die Oberfl ä che des Kharasees, und sein Pfeifen übertönte das G e schnatter der Enten, die am Ufer entlang watschelten. Das Blut eines Mannes, dessen Leichnam mit Gesicht und Brust im zähen Schlamm lag und das klare Wasser rot färbte, störte sie nicht.
Von weit her mochte der Wind kommen, doch in der unendlichen Steppe verharrte er in allgegenwärtiger E r habenheit. Er schien das Land Majunay, im Osten der Welt, Heimat zu nennen und mit zornigem Zepter zu b e herrschen.
Wie vertraut war diese Umgebung noch gestern für den Nomaden Larkyen gewesen. Wie gern hatte er sich in den Weiten des Kharasees verloren, in dem sich an hellen Tagen der Himmel spiegelte und wie das Tor zu einer a n deren Welt erschien.
Dieser Tag jedoch hatte alles verändert.
Larkyen kniete mit am Rücken gebundenen Händen auf dem kalten Boden. Die Kälte drang durch das Leder seiner Hose und die Fellstiefel, während der Schurwol l stoff seines Hemdes noch immer schweißdurchtränkt war.
Das schulterlange dunkle Haar hing ihm in Strähnen über das Gesicht. Verzweifelt rüttelte er an seinen Fesseln, bis seine Handgelenke wund waren, doch die Stricke ließen sich weder lockern noch lösen.
Zwanzig Winter waren seit seiner Geburt vergangen, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als das Kämpfen e r lernt zu haben. Als Krieger wäre er zumindest imstande gewesen, den Banditen, die ihn und die anderen dreißig Nomaden des Stammes der Yesugei überfallen hatten, Gegenwehr zu leisten.
Die kreisförmig angelegten Jurtenunterkünfte, die wie Pilze im Gras aufragten, waren schon von weitem u n übersehbar gewesen und hatten die Banditen auf eine leicht zu erlegende Beute hingewiesen. Wahrscheinlich hatten sie die Nomaden schon seit Tagen beobachtet und ihren Tagesablauf im Lager studiert.
Die Banditen entstammten
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