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Das wunderbarliche Vogel-Nest

Das wunderbarliche Vogel-Nest

Titel: Das wunderbarliche Vogel-Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
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DEr seltzame Springinsfeld erzehlet in seiner Lebens-Beschreibung / welcher Gestalt seine Leyrerin diß Vogel-Nest / davon ich jetzt zu reden vorgenommen / von einem Baum erhoben / dardurch unsichtbar worden / allerley possirliche Händel angestellt / und endlich umb Leib und Leben kommen; Jtem / daß bey ihrer Auffopfferung der jenig / so sich nach einem Nastüchlein gebuckt / das sie in ihrem sterben auß der Hand fallen lassen / mit Leib und Seel / Haut und Haaren / Kleidern und allem hinweg kommen / daß seither niemand erfahren / wohin er geflogen oder gestoben sey.
    Dieser verschwundene Kerl nun werther Leser / bin ich / und in dem Nastüchlein stack das gemeldte Vogel-Nest / welches ich im Fallen aufffing / in Hoffnung etwas von Geld oder dergleichen darinn zu erschnappen; hätte ichs aber nicht im Lufft erwischt / sondern gar auff die Erden kommen lassen / so wäre es mir nimmermehr zu theil worden: sintemalen ich alsdann weder das Schnupfftüchlein noch das Nest selbst nicht sehen können; da ichs aber hatte und nunmehr auß meiner Cammeraden der anderen Hellebardierer (welche mit mir außgeschickt worden / das Gespenst oder die Zauberische Jungfrau oder verfluchte Mörfein / zu fangen) Thun und Reden merckte / daß mich niemand sahe / hätte ich diß geringe und kleine Zwissel-Nestlein nicht mehr mit dem König in Engeland umb alle seine Königreich und Provintzien vertauscht / dann ich machte allbereit viel höhere Gedancken als Gyges über seinem Ring / da er sich an deß Königs in Lydiæ Hof begab.
    Jch sorgte weder umb Essen noch Trincken mehr / noch wie ich mich ins künfftig kleiden / oder wo ich sicher ruhen und schlaffen wolte; sondern bildet mir hingegen ein / so einem grossen Hauffen großmächtiger Glückseeligkeiten / die ich durch Krafft und Würckung dieses Nestleins zu erobern gedacht / daß ich mich selbst über mein Fortun verwundert und vor meiner Macht entsetzte; Ohnangesehen ich den jämmerlichen Außgang und das elende Lebens Ende der Weibs-Person vor meinen Augen sahe / die solches vor mir gehabt und gebraucht hatte / wie ich dasselbe zugebrauchen im Sinn nahm.
    Jch führte wenig zu Gemüt / daß der jenige / welcher das alte Fabelbuch vom Fortunato seinem Seckel und Wünschhütlein geschrieben / nichts anders sagen thun / und damit vormahlen wollen / als der gantzen Welt zu weisen / daß dergleichen verwunderliche Stück / dardurch unsere vorwitzige Begierden an Statt völliger Befriedigung umb etwas aufgehalten: und die Gemüter mit eiteln Träumen angefüllt / mit nichten aber genugsam contentirt worden / endlich sonst nichts als alles Unglück auf dem Rucken mit sich bringen; und ist nichts daran gelegen / solche seltene ungewöhnliche extraordinari Glücks Stücke (wie man sie nennen möchte) hätten gleich ihrem Ursprung und ihre Würckungen auß dem überreichen: aber gleichwol annoch vielen verborgenen Schätzen und Geheimnussen der Natur / oder seyen vom Schaden froh / dem Verderber und Ertzfeind deß menschlichen Geschlechts selbst an die Hand gegeben worden; Wie man dann auß der Erfahrung weiß / daß viele an Statt Fortunatischen Glückseckels sich der Galgen-Männlein / Diebs-Daumen / und dergleichen / und an Statt deß Wünschhütleins der Böck / oder vielmehr deß Teufels selbst gebrauchen / der einen und anderen ihrem Wunsch nach von einem Ort zum andern trägt; solches alles aber setze ich anjetzo beyseits / damit ich allein von meinem Vogel-Nest desto unverwirrter reden / und erzehlen möge / wie mir dessen Besitz bekommen / gleichwie ich auch bey desselbigen Empfang nicht nachgedacht / ob mirs zum Nutzen oder Schaden gereichen möchte.
    Als ich mich nun versichert befande / daß mich niemand sahe / verblieb ich bey denen mit welchen ich hinkommen war / das jenige zu verrichten / was wir damals ins Werck gesetzt; gieng auch mit ins Wirthshause / worinn ihnen der Abgeordnete von dem Herrn / dessen Liebsten die Kleidungen und Kleinodien zuständig gewesen / welche das erdödte Weib angehabt / ein Frühstück zurichten und geben lassen; da hörete ich ihre Verwunderungen wegen meiner Verschwindung / und ihr unterschiedlich Red und Meynungen / wohin ich doch kommen seyn möchte? Woraus ich lernete / daß die Verwunderungen auß der Unwissenheit entstehe / und daß man auß der Muck einen Elephanten macht / ehe man weiß / daß der Berg nur eine Maus gebären werde.
    Jch hatte sowol als meine Cameraden einen Appetit zum Essen und Trincken / derowegen erwischte ich

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