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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
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Donnerschlag und dann ein Wolkenbruch. Innerhalb kurzer Zeit war er völlig durchnäßt; die Bäume boten nicht genug Schutz. Winzige Bäche schienen überall zu fließen, ein Miniatur-Venedig für Würmer und kriechendes Ungeziefer. Mit dem Regen kam Dunst auf, und das Prasseln im Verein mit dem fernen Rauschen des Meeres hüllte, fast sichtbar, die nächtliche Welt in weißes Geräusch ein. Alles schien sich auf die wenigen Fußbreit um ihn herum zu verengen, und auch das Bewußtsein schien sich zu verengen: Es gab hier ein Büschel groben Grases, einen verwitterten runden Stein, Kies, ein bißchen Moos auf dem Schlamm.
    Hinter dem nordöstlichen Rand des spärlichen Waldes fand Mantle ein Felsenfeld. Im Mondschein sahen die aufragenden scharfkantigen Felsen so aus, als gehörten sie eher zu einem Felsenfeld in Urgap in der Türkei als in den Süden Frankreichs. Es war so, als wäre diese Stätte skulpturiert worden, nicht von linkshändigen Denkern, die den Mount Rushmore verhunzt hatten, zu Köpfen und Gesichtern, sondern zu Masken und dämonischen Formen, die im Schattenspiel tanzten und nur am Tage fest und tot wurden. Er konnte den Mont Vinaigre als dunkle Faust sehen. Der Nebel war nicht einheitlich, sondern gefleckt. Trotz seines beruhigenden Aussehens, sichere Deckung zu bieten, war er nur eine Illusion. Wenn diejenigen mit den Gewehren über Infrarot verfügen… dachte Mantle.
    Nur die Felsen sind Freunde, sagte er sich und erinnerte sich an eine Inipi-Zeremonie, als ihm gesagt wurde, daß die glühenden, fast durchsichtigen Steine Felsenwesen seien; daß sie, sogar wenn sie vom Feuer zerstört würden, um Qualm zu erzeugen, in ihrer Zeit Schicht für Schicht nachwachsen würden, um sich erneut darzubringen, damit die Indianer, das Natürliche Volk, dem traditionellen Weg folgen könnten.
    Er hörte wieder Donner. Er spitzte die Ohren; er bildete sich ein, daß Josiane ihm etwas zuflüsterte, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Er würde nie von seiner Schuld frei sein, aber er hatte sich gewandelt. Fortan konnte er ohne Josiane leben. Aber er hatte seinen Preis dafür gezahlt; er hatte etwas verloren.
    Stehe ich immer noch unter Drogenwirkung, fragte er sich.
    Als Antwort erklang Gewehrfeuer im Westen.
    Er schlug die östliche Richtung zur Bucht von Rade d’Agay ein, indem er der Route 1 folgte, die kaum mehr benutzt wurde; sie sah wie eine Römerstraße aus, ihre Risse und Fugen wurden von Moos und Gras überwuchert. Aber er hielt sich der Straße fern, bis er das Gefühl hatte, außer Gefahr zu sein.
    Im Morgengrauen ging er das Risiko ein. Er ließ sich von einem uralten Chevy Steamer mitnehmen, einem großen, verschmutzten Lastwagen, auf dem sich Käfige mit Hähnen und Hennen stapelten und an dessen Steuer ein campagnard in einem frisch gebügelten Anzug saß. Es war ein herrlicher Morgen. Der Himmel war ein ins Grau übergehendes Blau. Hohe Wolkenstreifen erstreckten sich über den Himmel.
    Es war so, als hätten der Steckkontakt und das Massaker nie stattgefunden.
    Abgesehen davon, daß Mantle noch immer den Donner hören konnte.
    Als er in Cannes ankam, herrschte schon reges Treiben, obwohl es noch nicht einmal sieben war. Die Händler hatten ihre Stände bereits um halb sechs aufgemacht, und die Gerüche von Fisch und anderen Waren vermischten sich mit dem typischen Staubgeruch der Altstadt von Cannes am Morgen. Es war ein Geruch, der jedem Kind vertraut war, – der einmalige Geruch von zwei aneinander geriebenen Steinen. Vielleicht wurde er durch die Reibung der Füße und Räder auf der Rue Perrissol hervorgerufen. In das La Castre-Museum drängten sich die Leute, vorwiegend Araber; irgendwie war die Sprache Mohammeds hier nicht fehl am Platz.
    Mantle war verschmutzt, und er hatte das Gefühl, daß die Lumpen, die er trug, lebendig waren und ihm über die Haut krabbelten. Zum Glück steckte in den Sachen des Mannes, die er anhatte, eine Brieftasche. Die Kreditkarten nützten ihm nichts, aber Mantle fand etwas Bargeld, gefaltete Scheine in einer der Plastikhüllen. Man konnte ohne eine gültige Kreditkarte keine Transkapsel benutzten, und der Schaffner machte ihm einige Schwierigkeiten, als er in den Zug einstieg.
    Als Mantle sich seinem Haus näherte, hörte er Donner, der sich in Stimmen und schwarz-silberne Echos auflöste. Josiane drängte, rief, flüsterte: „Ich warte…“
    Jemand rief ihn. Natürlich war es Pfeiffer. Bei ihm war eine Frau, die er nicht erkannte. Weinend lief

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