de profundis
machten dem Unfug ein Ende. Sie ließen die Geschichte wieder ein bisschen anfrieren. Ein Mond mit dem Profil von Konstantin Leontjew ging auf. Da fragte Ljussja:
»Was mögen Sie mehr, Hunde oder Katzen?« Die Hand des Vorlesers streichelte Ljussjas Handgelenk. Ljussja nahm die Liebkosung mit träger Ergebenheit hin.
»Eigentlich«, sagte der Vorleser, enttäuscht von dieser Ergebenheit, »gefallen mir Giraffen. Ja, wohl eher Giraffen …«
Ein unbekannter Mann trat an ihren Tisch und brachte den Wunsch zum Ausdruck, den Vorleser auf den Mund zu küssen. Der Unbekannte hatte wohl geglaubt, der Vorleser würde einverstanden sein, doch der weigerte sich strikt. Der unbekannte Mann holte aus, um den Beleidiger zu schlagen, da ging das Licht aus, was im Zeichensystem des Gaststättenwesens Trennung, einen weiten Weg und das Schlagen einer Uhr bedeutet, und als es wieder anging, war der unbekannte Mann verschwunden. Der Vorleser warf einen Blick unters Tischtuch, ob sich der unbekannte Mann nicht dort versteckt hatte, aber unter dem Tischtuch waren Hosenbeine aus schwarzem Krepp und noch eine zerknüllte Serviette, aber der Unbekannte war dort nicht.
»Nein, Giraffen gelten nicht«, sagte Ljussja. Sie blickte den Vorleser an – der erstarrte.
»Sehen Sie, Ljussja …«, sagte der Vorleser, der sich wegen der Giraffen schämte, »Sie sind wunderbar!«
Ljussja prustete in ihren Teller.
»Widersprechen Sie nicht!«, rief der Vorleser aus. »Was soll ich denn machen, wenn mir … Nein, Hunde sind mir begegnet: Bulldoggen, Pudel, Dackel, viele Dackel. Aber Katzen habe ich keine gesehen, die sind mir nicht untergekommen … Das hat sich so ergeben.«
»Sie lügen!«, platzte es aus Ljussja heraus. »Katzen gibt es in jeder Stadt wie Sand am Meer!«
Die Kellner begannen die Betrunkenen hinauszutragen; die Betrunkenen krakeelten ein wenig in ihren Armen.
»Wie Sand am Meer, dafür kann ich mir auch nichts kaufen …«, seufzte der Vorleser.
Der Vorleser besann sich plötzlich, fuchtelte mit den Händen, begann sich zu entschuldigen und sagte, er habe Katzen gesehen, es sei gelogen gewesen, dass er keine gesehen hätte, es sei ihm peinlich, dass er gelogen habe, und er habe Katzen lieber, ja, lieber als Hunde, obwohl Hunde auch nicht schlecht seien, sie hätten auch was, also, nun ja …, wenn man zum Beispiel die Schnauze nehme …
»Ich wusste es!«, rief Ljussja erleichtert aus. »Ich wusste es, dass Sie Katzen lieber mögen als Hunde … Möchten Sie, dass ich Ihnen ein Geheimnis verrate?«
»Bitte«, flüsterte der Vorleser in schwarzsamtenem Flüsterton.
»Ich sammle Katzenpostkarten.«
»Sag mal, du Künstler, aber ehrlich, wie viel kassierst du pro Auftritt?« Der Vorleser blickte in den Saal. Der Saal roch nach Schokoladenkonfekt. Man beobachtete ihn durch einen Feldstecher. Der Vorleser mochte das nicht. Als er den Zettel auseinander faltete, brach die letzte Reihe in schallendes Gelächter aus, und gleich auf das Gelächter folgte das durchdringende Kreischen eines Mädchens, es war das fröhliche Kreischen eines befreiten Körpers. »Da haben sie Nataschka den BH aufgemacht«, erklärte Ljussja später. »Unsere Nataschka, weißt du, was die macht? Sie spielt Basketball.«
»Und hast du eine große Sammlung?«
Ljussja sah den Vorleser entsetzt an – sie standen in der Schlange zum Garderobenmann, dessen Bewegungen so ungeschickt waren.
»Knaster …«, sagte Ljussja mit gedämpfter Stimme.
»Was für ein Knaster?« Der Vorleser drehte sich um.
Es stellte sich heraus, dass in der Schlange ein Lehrer der Clara-Zetkin-Schule stand, der Ljussja einmal vor allen Mitschülern als Schwachkopf bezeichnet hatte. Dafür nannten ihn alle immerzu Knaster, Knaster wusste und hasste das, und er trug einen ellenlangen Schlips fast bis zum Knie. Rosa mit hellblauen Punkten.
»Unsinn«, sagte der Vorleser, während er Knaster mit einem Auge taxierte. »Er begreift und sieht überhaupt nichts.«
Aber Ljussja starrte Knaster wie verhext an, und Knaster sagte, wobei sein Gesicht leicht zuckte:
»Ich sehe alles, Petrischtschewa! Ich sehe alles!« Der Schlips baumelte vorwurfsvoll wie ein Pendel hin und her.
»Sie haben sich in der Person geirrt!«, sagte der Vorleser und trat drohend auf ihn zu. »Das ist meine Frau – die Sängerin Galina Wischnewskaja. Wie kommen Sie auf Petrischtschewa! Sie sollten mal zum Augenarzt gehen!«
Knaster war kein großer Mann und offenbar kein Kämpfer; bange sah er den Vorleser
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