Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
Strangulierung?
»Was glaubst du?« Die Stimme umschwebte sie wie eine Wolke.
»Glaubst du, er ist tot? Glaubst du, er ist am Leben?«
Megan versuchte sich zu konzentrieren, setzte ihre Wut ein, um klar zu bleiben. »Ich … glaube … Sie sind wahnsinnig.«
Er schlug sie auf die rechte Hand, und Schmerz schoß ihre Nervenstränge hoch, so heftig, daß ihr die Luft wegblieb. Er schlug noch einmal zu, auf ihre Fingerspitzen, mit etwas, das sich wie die schmale Kante eines Stahllineals anfühlte. Der Schmerz fetzte durch ihren Körper und riß sich mit einem Schrei aus ihrer Kehle, der in heftiges Schluchzen überging.
»Respekt.« Die Stimme schien aus der Mitte ihrer Stirn zu dringen.
»Du solltest uns respektieren. Wir sind dir so ungeheuer überlegen. Die ganze Zeit haben wir dich zum Narren gehalten, so mühelos. Es ist ein Spiel, mußt du wissen«, verkündete er. »Wir haben alle Züge kalkuliert, alle Optionen, alle Möglichkeiten. Eine Niederlage gibt es für uns nicht.«
Ein Spiel. Ein Schachspiel mit lebenden Figuren. Megan zitterte. Man hatte ihr die Jacke genommen. Und ihren Pullover. Schließlich wurde ihr klar, daß sie nur noch die lange schwarze Seidenunterwäsche trug, die Mitch so komisch gefunden hatte. Die.380 A.M.T.-Reservepistole, die sie in einem Köchelhalfter trug, war entdeckt und entfernt worden. Sie hätte sie ohnehin nicht benutzen können, selbst wenn sie gewollt hätte.
»Haben Sie Josh getötet?« insistierte sie.
Ihr Folterknecht ließ die Frage im Raum hängen. Megan wußte nicht, ob zwei Minuten verstrichen waren oder zwanzig. Die Droge hatte ihr Zeitgefühl verzerrt. Vielleicht lag es schon Tage zurück, als sie zu Christopher Priests Haus hinausgefahren war. Vielleicht war sie noch dort, aber sie hatte vage Erinnerungen an eine Fahrt in irgendeinem Vehikel, an den Geruch von Auspuffgasen, das Dröhnen eines Motors, Bewegung.
Schwindelgefühl umfing sie wie ein Nebel. Übelkeit kroch ihre Kehle hoch, und sie schluckte sie hinunter. »Das Spiel ist noch nicht vorbei«, flüsterte er. Eine Hand packte ihren Pferdeschwanz und zog langsam ihren Kopf nach hinten. Megan öffnete die Augen weiter, versuchte mehr von dem Zimmer zu erkennen, aber sie sah nur einen Streifen Grau, eine Farbe wie Beton. Keller. »Wir können nicht verlieren. Verstehst du das? Du kannst uns nicht besiegen. Wir sind zu gut in diesem Spiel.«
Megan fühlte sich nicht gerade in der Lage, das anzuzweifeln, und nach dem letzten Versuch schien es kaum ratsam, ihn zu verärgern. Sie töten wäre höchstens eine lästige Aufgabe. Er hatte gesagt, sie wäre nicht die erste. Längst nicht. Angst durchkroch sie – um sich und um Josh, wo immer er war. Im Grunde hatten sie von Anfang an gewußt, daß sie es nicht mit einem durchschnittlichen Kriminellen zu tun hatten, aber das hier überstieg bei weitem alle Befürchtungen – ein Massenmörder, der mit den Leben von Leuten spielte, wie die Katze mit der Maus.
Er ließ ihr Haar abrupt los, und ihr Kopf fiel vornüber. Die Bewegung löste eine neue Woge von Übelkeit aus. Ein Schuh schlürfte über den Boden. Ein einzelner schwarzer Stiefel wurde sichtbar neben ihrem rechten Bein, dann verschwand er. Der Stuhl kippte nach hinten und drehte sich um – oder sie bildete es sich zumindest ein. Irgendwie flogen Teile von ihrem Körper weg und schnappten dann wieder zurück, wie eine Bilderfolge aus einem schrägen Cartoon. Ihr Bewußtsein
schwamm in einem zähen, schwarzen Morast, und gläserner Lärm trommelte auf ihre Ohren, bildete eine Klammer um ihren Kopf. Sie wußte nicht, ob sie wach oder in einem Alptraum war, wußte nicht, ob es einen Unterschied gab.
Dann wurde alles mit einem Mal still, der plötzliche Mangel an Bewegung und Geräuschen verwirrte sie genauso wie der Angriff von Geräuschen und Bewegung. Sie trieb in einem schwarzen Nichts. Dann tauchte ein blendendes Bild auf, nur für den Bruchteil eines Augenblicks, so kurz, daß es ihr Unterbewußtsein registrierte und es dann erst Schritt für Schritt in ihr Bewußtsein drang: ein Gesicht, ein Junge, braunes Haar, gestreifter Schlafanzug.
»Josh?«
Noch ein kurzer Blick. Sommersprossen, eine Wange mit blauem Fleck, leere Augen.
»Josh!« Sie versuchte sich zu bewegen, konnte es aber nicht, versuchte die Hand nach ihm auszustrecken, aber sie hatte scheinbar überhaupt keine Kontrolle über ihren Körper.
Das Bild blitzte wieder auf. Er stand da wie eine Statue, eine Schaufensterpuppe, die Arme
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