Deine Steuern sollst du zahlen (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
späten Abend zurückkehrt. Er wird morgen früh mit Ihnen sprechen können.“ Sie nickte kurz und wandte sich zur Tür. „Kaffee, Tee und Wasser kommen gleich.“
Als sie die Türe hinter sich geschlossen hatte, schaute Angela ihren Chef mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Findest du es normal“, fragte sie, „dass ein Vorgesetzter in einem solchen Fall nicht sofort alles abbricht und zurück an seinen Arbeitsplatz kommt?“
Nick zuckte mit den Schultern. „Politiker sind vielen Zwängen unterworfen, und wenn General Steinbrück der Schweiz mit der Kavallerie droht, muss man wohl auf Kantons- und Länderebene für bessere Stimmung sorgen.“
„Aber auch Regierungsräte sind in erster Linie Vorgesetzte ihres Departements“, insistierte Angela, „und meines Erachtens müsste ein Chef alles stehen und liegen lassen, wenn einer seiner engsten Mitarbeiter unter ungeklärten Umständen ums Leben kommt. Ich verstehe das echt nicht.“ Sie seufzte; ihr Vater war selbst Regierungsrat, leitete das Departement für Gesundheit und Soziales, und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ebenso reagieren würde. Sie musste sich allerdings eingestehen, dass das Finanzdepartement, oder richtig das Departement Finanzen und Ressourcen, anders gestrickt war, dass die Ziele der beiden Organisationen völlig unterschiedlich waren, und damit wohl auch die Personen, die dort arbeiteten. Nun, das würde sie ja bald herausfinden.
„Also gut“, sagte sie, „lass uns anfangen. Ich möchte die Leute gerne zu zweit interviewen, aber im Namen der Effizienz sollten wir uns wohl aufteilen. Mit wem möchtest du beginnen?“
*
Trotz Informationssperre, Schweigeversprechen und Maulkörben verbreitete sich die Nachricht vom Tod Matossis in Windeseile durch die ganze Kantonsverwaltung, und innert Stunden wussten auch Journalisten, Grossräte und das breite Publikum in Aarau, dass sich im Telli-Hochhaus ein grausiger Todesfall zugetragen hatte.
Der Unternehmer und Grossrat Adrian Toggenburger, dessen Credo 'Steuerhinterziehung ist ein Menschenrecht' jedermann tausendmal gehört hatte, konnte seine Schadenfreude nicht verhehlen. Kurz vor Mittag rief er den Finanzchef seines Metallbauunternehmens zu sich, erzählte ihm was er wusste, nämlich dass Gion Matossi erschossen worden sei oder sich selbst erschossen habe, und streckte ihm strahlend ein Glas Tegerfelder Chardonnay entgegen. „Jetzt ist erst mal der gröbste Druck weg, Beat. Prost!“
Beat Müller fand zwar insgeheim, es sei pietätlos, auf einen Ermordeten oder einen Selbstmörder anzustossen, aber anderseits verstand er Toggenburgers Freude darüber, Zeit gewonnen zu haben.
„Die Verwaltung arbeitet so ineffizient, dass es Monate dauern wird, bis der Steuer-Vögtli einen Ersatz für Matossi eingestellt hat. Und dann dauert es Jahre, bis sich dieser wieder traut, der Firma eines Grossrats auf die Finger zu schauen – bis dann sind wir aus dem Schneider.“
„Meinst du nicht“, fragte Müller vorsichtig, „Matossi habe das Dossier mit jemandem besprochen?“
„Ach was, er war ja so erpicht darauf, mich mit einem grossen Knall hochgehen zu lassen, dass er die Sache sicher geheimgehalten hat! Und wenn er etwas dazu aufgeschrieben hat, ist es vermutlich codiert, oder die Unterlagen sind sogar verschwunden, einfach so.“ Ein fieses Lächeln spielte um die Mundwinkel des Unternehmers. „Beat Müller, wir sind wieder einmal davongekommen, auch dank deiner kreativen Buchführung. Prost!“
*
Steff Schwager, Reporter für lokale Politik bei der Aargauer Zeitung, hörte in der Warteschlange bei 'Starbucks', wie sich vor ihm zwei Herren in Anzügen darüber unterhielten, ob der Mord im Telli wohl politisch motiviert gewesen sei. Elektrisiert tippte er Nick Baumgartens Nummer in sein Handy und hinterliess eine Nachricht. Noch während er auf seinen Triple Espresso Macchiato wartete, rief er die Redaktion an und bat darum, ihm auf der Frontseite des nächsten Tages viel Platz zu reservieren für die heisseste Story des Jahres. Vergnügt pfeifend und mit dynamischem Schritt, der sich deutlich von seiner normalen, durch erhebliches Übergewicht bestimmten Gangart unterschied, machte er sich in Richtung Bahnhofstrasse davon. Endlich war wieder mal etwas los, auch wenn er noch nicht wusste, was genau geschehen war – sein Reporterherz schlug hoch, er freute sich auf diesen Arbeitstag.
Und er kannte noch jemanden, der sich freuen würde: die neu gewählte
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