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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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dass vielleicht noch niemand ihr Ausbleiben bemerkt und sie darüber ganz vergessen hatte.
    Die enge Gasse, durch die sie lief, war sehr dunkel. Zwar gab es in Schönau auf der Hauptstraße und dem Marktplatz eine Straßenbeleuchtung – jeden Abend kam der Laternenanzünder mit einer Ölkanne und einer Schere, stutzte die Dochte, füllte Öl nach und zündete die Lampen an, aber hier hinten, wo die armen Leute wohnten, musste der Mond als Nachtlicht genügen. Der Schein der Lampen und Kerzen in den einzelnen Zimmern fiel nicht auf die Straße und verstärkte die Dunkelheit nur noch.
    Wenn Delia jetzt nicht ihren Mops bei sich gehabt hätte, der ihr treulich zur Seite lief, hätte sie sich vielleicht doch gefürchtet. Zum Glück war sie diesen Weg schon so oft gegangen, dass sie ihn auch mit verbundenen Augen gefunden hätte.
    Dann hatte sie die Rückseite ihres Elternhauses erreicht. Schmal und dunkel, zwischen andere schmale und dunkle Häuser gezwängt, hob sich seine Silhouette gegen den Himmel ab. Über den Dachfirst turnte ein Kätzchen im Mondschein. Unten in der Küche brannte Licht, alle anderen Fenster waren schwarz. Das Wohnzimmer, in dem sich die Familie zu dieser Zeit aufzuhalten pflegte, lag nach vorn hinaus.
    Jetzt gab es nur noch eine Schwierigkeit zu überwinden – den Lattenzaun. Er war nicht besonders hoch, und es wäre kein Kunststück gewesen, ihn zu überklettern, wenn Delias langes, bauschiges Seidenkleid mit den vielen Unterröcken für solche Aktionen nicht denkbar ungeeignet gewesen wäre. Trotzdem gelang es ihr, ohne dass sie hängenblieb, und das war ein wahres Wunder. Der Mops war schon mit einem eleganten Satz, den man seinem kurzen, kleinen Körper kaum zugetraut hätte, hinüber gesprungen.
    Delia atmete erleichtert auf. Aber dann bemerkte sie, dass doch irgend etwas nicht stimmte. Sie hob die Hand zum Kopf – ihr Hut, ihr schöner, neuer Schutenhut – war verschwunden! Entsetzt starrte sie auf ihre leere Hand. Sie war sicher, dass sie ihn vor fünf Minuten noch aufgehabt hatte.
    „Professor!“ rief sie angstvoll, mit unterdrückter Stimme, in den nächtlichen Garten. „Professor!“
    Sie spürte die raue Zunge ihres kleinen Freundes an ihrer Hand.
    „Professor, mein Hut! Frauchens Hut!“ Sie beugte sich zu ihm herab, sprach eindringlich nahe seinem Schlappohr. „Hol Frauchens Hut ... Mach hoppihopp!“
    Der Mops zögerte. Delia hatte schon Angst, er würde sie nicht verstehen und sie selbst müsste noch zweimal – hinüber und wieder herüber – über den Zaun klettern.
    „Bitte“, sagte sie verzweifelt. „Bitte, mach hoppihopp ... Hol Frauchens Hut!“
    Der Professor machte seinem Namen alle Ehre. Er sprang auf die dunkle Gasse zurück. Delia hörte ihn eine Weile schnuppernd hin und her wieseln, dann war er mit einem Satz wieder neben ihr – er hielt den vermissten Hut in der Schnauze.
    „Brav“, lobte Delia. „Brav! Ach, Professor, wenn ich dich nicht hätte!“ Sie gab ihm einen raschen Kuss auf die Stirn. Dann rannte sie auf die Küchentür zu, der Mops überholte sie, stieß die Tür auf und war schon bei seiner Wasserschale und trank gierig, ehe Delia noch in den Lichtkreis der Lampe trat.
    Am Küchentisch saß die alte Sophie, in guten Zeiten Köchin im Hause Körner, jetzt, da der Ernährer fehlte, Mädchen für alles. Sie ließ den Strickstrumpf sinken, an dem sie gearbeitet hatte.
    „Demoiselle Delia, endlich! Wo haben Sie nur gesteckt?“
    „Hat Mama sich Sorgen gemacht?“ fragte Delia schuldbewusst.
    „Schlimmer. Es hat Ärger gegeben. Wachtmeister Schmittke war da und hat sich beschwert.“
    Delia ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. „Auch das noch!“
    „Er sagt, Sie hätten den Hund auf ihn gehetzt. Demoiselle, und er will Anzeige erstatten!“
    „Weil der Professor ihn ins Bein gebissen hat?“ Plötzlich musste Delia lachen. Es kam ihr höchst komisch vor, dass ein ausgewachsener Mann einen kleinen Hund anzeigen wollte.
    „Da gibt’s gar nichts zu lachen, Demoiselle“, tadelte Sophie. „Die Madame ist außer sich! Wir haben Schwierigkeiten genug gehabt wegen des Herrn Papa, und gerade jetzt, wo allmählich Gras über die Sache gewachsen ist ...“
    „Wachtmeister Schmittke hat Papa beschimpft!“
    „Ja, ja, ich weiß schon, er ist ein schlechter Kerl ... Trotzdem hätten Sie den Professor nicht auf ihn hetzen dürfen!“
    „Habe ich ja gar nicht getan, Sophie, bestimmt nicht! Er hat ganz von selbst zugeschnappt ... Er mag diesen

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