Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Fräulein, er ist ja doch der beste Mensch von der Welt. Und es ist auch hübsch von ihm, daß er sich nicht alles gefallen läßt. Ein Mann muß doch ein Mann sein. Und eigentlich kann ich ihn ja doch um den Finger wickeln.«
Es schlug sieben, und Maline erhob sich, um der Kranken ihre Medizin zu geben.
»Doktor Leist hat recht; es schmeckt wie eine Doppellimonade. Und nun hole mir noch ein paar Kalvillen. Hier schräg unter uns aus dem alten Saal. Aber nimm den Wachsstock und sieh dich vor auf der Treppe; die Stufen sind so ausgelaufen. Und verfitze dich auch nicht in dem Bohnenstroh.«
Maline sah vor sich hin. Dann sagte sie verlegen: »Ich möchte die Äpfel doch lieber aus der Speisekammer holen, nicht aus dem alten Saale.«
»Aber wozu den weiten Weg? Wir sind ja hier Wand an Wand. Ein paar Stufen und du bist unten. Die Kalvillen liegen links neben dem Altar.«
»Ich kann nicht gehen, Fräulein Renate.«
»Was ist dir?«
»Ich fürchte mich.«
»Weshalb?«
»Er betet wieder.«
»Wer?«
»Der alte Matthias.«
Renate schloß einen Augenblick die Augen und sagte dann mit erkünstelter Ruhe: »Ich bin ihm nie begegnet. Glaubst du daran?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was mir die Ruschen, die alte Jätefrau, immer gesagt hat: ›Wer den Spuk verschwört, dem erscheint er.‹«
»Und wer hat ihn gesehen?«
»Nachtwächter Pachaly.«
»Wann?«
»Letzte Nacht.«
»Erzähle, was du gehört hast.«
»Ich mag nicht. Fräulein Renate werden sich erschrecken und kränker werden.«
»Nein, nein, ich will es wissen.«
»Nun gut denn. Also Krist und Pachaly hatten die Wache. Jeetze kam auch; ich sah ihn, als ich um die zehnte Stunde nach Hause kam, denn es gefiel mir nicht im Krug, und ich wollte nicht tanzen. Das gnädige Fräulein werden schon wissen, warum ich nicht tanzen wollte. Aber das muß ich sagen, er tanzte auch nicht.«
Renate nickte, während Maline die Hand ihrer jungen Herrin küßte und dann fortfuhr: »Jeetze hatte sich Krists grauen Mantel angezogen und einen alten Säbel darübergeschnallt. Es war zum Lachen. Als der gnädige Herr ihn sah, wurd’ er ärgerlich und sagte: ›Das ist nichts für dich, Jeetze. Du hast deine Zeit gehabt.‹ Und dann trat er zu Krist und Pachaly und befahl ihnen, daß sie sich immer in Nähe des Hauses halten sollten. ›Krist, du nimmst die Parkseite, und Pachaly, Ihr nehmt die Dorfseite, und bei dem großen Mittelfenster des alten Saales trefft ihr zusammen. Und haltet euch immer so, daß ihr euch anrufen könnt.‹ Das alles hört’ ich noch mit meinen eigenen Ohren. Aber das andere hab’ ich von Pachaly.«
»Nun?«
»So gingen sie denn wohl zwei Stunden. Es war ganz still. Nur vom Krug her, wo man noch nichts wußte, hörten sie Musik. Krist, den jetzt zu frieren anfing, trat in die Hoftür und schlug Feuer an, um sich eine warme Pfeife zu stopfen. Dadurch kam es, daß sie sich für dies eine Mal bei dem großen Mittelfenster nicht trafen und daß Pachaly den langen Querbau allein passieren mußte. Als er an das letzte Fenster kam, sah er Licht; er trat näher heran und hob sich auf die Fußspitzen. Da sah er, daß das alte Bild erleuchtet war, und vor dem Altar kniete einer und betete. Er hatte aber keine Stimme zum Rufen. Indem kam Krist heran, und er winkte ihm. Dieser sah auch noch den Schein; als er aber an die Stelle treten wollte, wo Pachaly eben gestanden hatte, losch alles aus, und es war wieder dunkel. Sie hörten nur noch Schritte und ein Knistern im Stroh, das vor den Stufen lag.«
Renate hatte sich höher aufgerichtet. Die Wand, an der sie lag, war die Giebelwand, an deren anderer Seite – nur um eine Treppe tiefer – der alte Altar sich befand. Eine Herzensangst befiel sie. Sie hatte das Bedürfnis eines Zuspruchs, den ihr Maline nicht geben konnte; so sagte sie: »Du solltest mir Tante Schorlemmer rufen.«
Maline ging. Als sie aber eben die Tür öffnen wollte, rief ihr Renate nach:
»Nein, bleib!« Und dann wieder ihrer Furcht sich schämend, setzte sie hinzu: »Nein, geh; ich will mich bezwingen.«
Es vergingen Minuten. In dem nur matt erleuchteten Zimmer bewegten sich die Schatten hin und her; ihr fiebriges Auge folgte diesem Tanz und haftete zuletzt auf der Bilderreihe, die an der anderen Wand des Zimmers hing. Es waren englische Buntdruckbilder, eines ein gotisches Portal darstellend, in dem eine Ampel hing und durch das hindurch man auf einen Altar blickte. Alles in vorzüglicher Perspektive und der Altar nur ein
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