Carlottas Kerker
Suko und ich standen in sicherer Entfernung hinter einer Plakatsäule, während die Kollegen die Straße in beide Richtungen hin abgesperrt hatten. Dahinter standen die Gaffer, die überall zu finden sind, und auch an den Fenstern der Häuser zeigten sich hin und wieder Gesichter. Schließlich wollte jeder sehen, was hier ablief.
Das Sonderkommando war auf Wunsch der Staatsanwältin Dr. Purdy Prentiss nicht eingeschaltet worden. Stattdessen hatte sie uns angerufen, und ihr Wunsch war uns gewissermaßen Befehl gewesen, obwohl wir unsere Mittagspause beim nahen Italiener hatten unterbrechen müssen. Gründe wollte sie später nennen, wenn alles gut gelaufen war.
Wir vertrauten der toughen Frau mit den glatten roten Haaren und den blassgrünen Augen. Purdy Prentiss war im Laufe der Zeit zu einer guten Freundin geworden. Zudem war sie jemand, die ein besonderes Schicksal hinter sich hatte. Sie war wiedergeboren worden; ihr erstes Leben hatte sie in Atlantis geführt.
Purdy hatte nur einen Wunsch geäußert. Wenn möglich, sollten wir den Mann lebend schnappen.
Uns war er unbekannt. Wir wussten nicht, wer sich hinter dieser Maske versteckte, und auch in dieser Gegend hatten wir uns kaum aufgehalten. Man konnte von einem alten Stück London sprechen. Von kleinen Häusern, die recht alt waren, sehr dicht beisammenstanden, und als Betrachter hatte man den Eindruck, dass sie sich gegenseitig abstützten.
Der Maskentyp zeigte sich an einem Dachfenster. Es gehörte zu einer Gaube, die bis dicht an den Rand des Daches heranreichte. Wenn er auftauchte, dann nur für eine bestimmte Zeit. Er schoss auch nicht immer. Ab und zu schickte er seinen wahnsinnigen Brüllanfall ins Freie. Aber man konnte sich nicht darauf verlassen, ob er nun schoss oder einfach nur schreien wollte.
Bis zur dritten Etage mussten wir hoch. Weder Purdy Prentiss noch wir wussten, wie es in dem Bau aussah. Wir sprachen kurz darüber, und die Staatsanwältin erklärte nur, dass es recht eng sein würde.
»Dann haben wir wenig Platz, um auszuweichen«, meinte Suko.
»Ja, deshalb werden wir hintereinander die Treppe hochgehen«, erwiderte ich.
»Gut.« Er grinste mich an. »Und wann?«
Ich hob die Schultern. »Sobald sich die Gelegenheit ergibt. Wir warten sein nächstes Erscheinen ab, dann huschen wir los, und du«, ich warf Purdy einen Blick zu, »bleibst am besten hinter uns.«
»Werde ich, ihr Beschützer.« Sie lächelte.
All right , ich wusste genau, dass sie eine Frau war, die sich verdammt gut ihrer Haut wehren konnte, und die zudem perfekt mit Waffen umging.
Suko hatte einige Male auf die Uhr geschaut. Jetzt sagte er: »Es ist bereits eine Minute her, dass er sich das letzte Mal gezeigt hat. Eine ziemlich lange Pause, finde ich.«
»Dann müsste er bald erscheinen«, meinte Purdy.
»Gut. Danach versuchen wir es.« Diesen Vorschlag hatte ich gemacht, und es sprach niemand dagegen.
Von zwei verschiedenen Seiten schauten wir um die Rundung der Säule auf das Haus. Der hohe Zylinder aus Beton war mit zahlreichen bunten Plakaten beklebt worden, die auf alles Mögliche hinwiesen. Auch knallige Reklamen für irgendwelche Produkte waren darunter.
Nichts zu sehen. Der Ausschnitt des kleinen Fensters blieb leer. Das würde nicht so bleiben, und ich zählte innerlich bis zehn. Ich war davon überzeugt, dass der Kerl wieder erscheinen würde, und ich hatte die Zahl Acht noch nicht erreicht, da gellte uns wieder ein Schrei entgegen. Diesmal war es kein Brüllen, sondern mehr ein Kreischen, das auch von einer Frau hätte stammen können.
Dann war er da!
So plötzlich, dass wir uns erschreckten, als er aus seiner Deckung in die Höhe schnellte. Er hatte sich nicht verändert. Wir sahen die feuerrote Teufelsmaske vor seinem Gesicht, die an den Seiten sogar mit zwei gelben Hörnern bestückt war. Das Bild war so gravierend, dass die Pistole in seiner Hand kaum auffiel. Wir sahen sie erst beim zweiten Hinschauen, aber sie war auch nicht funktionsfähig, denn er wollte schießen, das sahen wir, als seine Hand mit der Waffe immer wieder nach vorn zuckte, aber keine Kugel verließ den Lauf.
Die Pistole war leer!
»Ach nein«, sagte ich nur und schaute Suko kurz an. »Packen wir’s, Alter?«
»Und ob.«
Wir huschten los. Das enttäuschte Kreischen des Mannes begleitete uns. Ich wusste nicht, ob ihm klar war, was ihm bevorstand, aber er blieb am Fenster und brüllte weiter.
Die Tür des schmalen Hauses stand offen. In dem Bau gab es kein Geschäft, nur
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