Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
sich Herz nicht zu Herzen findet, dargestellt. Die Erzählung verweilt fast ausschließlich bei der Heldin, deren sanfte Willenslosigkeit sie in das Unglück der äußerlich glänzenden Ehe und in das schlimmere des Ehebruches gleiten läßt, bis sie dann schließlich, erst ganz verlassen, dann von ihren Eltern wieder aufgenommen, ins Grab sinkt, mit der Empfindung, daß sie ihrem Gatten mehr zu verzeihen habe als er ihr. Seit Prévost’s „Manon Lescaut“ ist die „schöne Sünderin“ nicht in so schlichter Wahrhaftigkeit dargestellt worden: weder ein romantisch-schuldloses Opfer der Verhältnisse noch eine sündhafte Natur, sondern die Trägerin eines von ihrem Wesen und ihrem Schicksal gleich sehr verschuldeten Looses.
„Die Poggenpuhls“ (1896) und „Der Stechlin“ (1898) gehen fast ganz in Genrebild und Gespräch auf. Der „Stechlin“ knüpft an einen See seiner Heimathgegend, der Graffschaft Ruppin, an, der schon in den ersten „Wanderungen“ Fontane’s Aufmerksamkeit erregt hatte: dieser kleine aber tiefe See, der alle großen Erderschütterungen an seiner Oberfläche erkennen läßt, wird für den Dichter ein tiefinniges Symbol der eigenen Art, im „Kleinen“ und „Unbedeutenden“ das Große, im ganz Individuellen das Allgemeine abzuspiegeln. Die Hauptfigur bildet den Typus des wohlwollenden alten Edelmanns mit dem Porträt des Dichters in Eins und gab so einen glücklichen Abschluß jener an bestimmten Grundmotiven so reich und mannichfaltig sich aufrankenden Romandichtung aus den letzten zwanzig Jahren des Dichters.
F. war sich überhaupt, wie das sich bei seiner ganzen Natur fast von selbst versteht, eine interessante Persönlichkeit. Gewisse Gegensätze seines Wesens waren ihm wohl bekannt. Ein echter Berliner neigte er ebenso zu einer gewissen „Ueberheblichkeit“ (eins seiner Lieblingsworte) und Unbedingtheit im Ausdruck wie zu einer sehr genauen und auch wol zu skeptischen Abschätzung seiner selbst; beides ward dann leicht in der Form eines halb ironisch, halb dictatorisch hingesprochenen allgemeinen Satzes vermittelt. Der Sohn sehr verschieden gearteter Eltern hat er für den liebenswürdigen Leichtsinn des Vaters immer Sympathien gehegt, sich aber dem strengen Urtheil der Mutter, wohin das führen müsse, nicht verschließen können; das bestimmt den typischen Verlauf seiner Romane und den tragischen Ausgang ihrer sympathischen, aber schwachen Helden und Heldinnen. Zum Adel und zum Bürgerthum, zum Heer und zu den Schriftstellerkreisen, zu dem Zauber des „großen Moments“ und dem Reiz der Anekdote, zu dem Eindruck bedeutender Heroen (sein letztes Gedicht galt Bismarck) und der Lehre, daß die kleinen Dinge und Personen in der Geschichte entscheiden, fühlt er sich hingezogen und von all diesen Dingen auch wieder in zweifelnde Stimmung versetzt; das gibt seinen Büchern die ungemein persönliche Beleuchtung bei aller Objectivität in der Schilderung der Vorgänge. Der Entstehung dieser eigenartigen Persönlichkeit ist er auch selbst in zwei autobiographischen Büchern nachgegangen: „Meine Kinderjahre“ (1893) und „Von Zwanzig bis Dreißig“ (d. h. von Fontane’s zwanzigstem bis dreißigstem Jahr; 1898). Das erste Werk schildert in anschaulichstem Ausmalen die Entstehung seiner Eigenart, scheinbar ganz unabsichtlich, scheinbar nur auf äußern Dingen verweilend, das zweite in Composition und Form nicht ganz so gelungen, etwas absichtlicher das Werden des Dichters Fontane. Das Beste in seinem Wesen hat der im Herzensgrund tiefbescheidene Mann freilich nicht hervortreten lassen können: die reine Güte eines menschenfreundlichen und menschenfreudigen Herzens, dessen mild versöhnliche Moral nicht auf laxen Principien, sondern auf der innigen Ueberzeugung von unser aller Schwäche und Hülfsbedürftigkeit beruht. Selbst fest, pflichttreu und unabhängig durchs Leben schreitend war er Jüngeren gern ein freundlicher Berather, in reizend persönlichen Briefen wie in unvergleichlicher Plauderei Kritiker und Helfer zugleich. Noch der ganz neuen ultrarealistischen Art des jungen Gerhard Hauptmann kam er liebevoll entgegen. Der erste eigentliche Großstädter in unserer Litteratur hat er die Legende von dem kaltverständigen Egoismus des „Berlinerthums“ siegreich zerstört und einer neuen Art der Darstellung wie einer neuen Anschauung der Dinge mit fast spielender Genialität zum Durchbruch verholfen.
Friedhof II der französischen Gemeinde zu Berlin, wo
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