Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
doch, um sich den Genuß, streiten zu können, nicht entgehen zu lassen.
»Du bist wirklich ein Mann von Grundsätzen«, sagte Mrs. Tetterby, »du mit deiner spanischen Wand aus Zeitungslappen, die du den Kindern halbe Stunden lang vorlesen kannst.«
»Sage lieber, vorgelesen hast«, entgegnete ihr Gatte. »Du wirst mich nicht mehr dabei erwischen, ich bin jetzt gescheiter.«
»Ja, ja, gescheiter«, sagte Mrs. Tetterby, »bist du auch besser geworden?«
Die Frage klang wie ein Mißton in Mr. Tetterbys Herz. Er brütete verdrießlich und fuhr mit der Hand immer wieder über die Stirn.
»Besser«, murmelte Mr. Tetterby. »Ich wüßte nicht, ob jemand von uns besser ist oder glücklicher. Ach ja, besser, hm!«
Er wandte sich zu der spanischen Wand und suchte mit dem Finger herum, bis er offenbar den Paragraphen gefunden hatte, der darauf paßte.
»Es war ein Lieblingsstück der Familie«, sagte er in trübseligem, blödem Ton vor sich hin, »und entlockte den Kindern immer Tränen und besserte sie, wenn sie sich gezankt hatten oder unzufrieden waren. Es kam gleich hinter der Geschichte von dem Rotkehlchen im Walde. – – – ›Trauriges Beispiel menschlichen Jammers: Gestern erschien ein kleiner Mann mit einem Wickelkind auf den Armen und umgeben von einem halben Dutzend zerlumpter Kleiner im Alter von zehn und zwei Jahren, die alle offenbar dem Hungertode nahe waren, vor der hohen Obrigkeit und stattete folgenden Bericht ab: – – –‹ Ich möchte gerne wissen«, sagte Mr. Tetterby, »was das uns angeht.«
»Wie alt und schäbig er ausschaut«, dachte Mrs. Tetterby und betrachtete ihn. »Ich habe noch nie eine so plötzliche Veränderung an einem Menschen gesehen. O mein Gott, mein Gott, mein Gott, es war ein Opfer!«
»Was war ein Opfer?« fragte ihr Gatte mißmutig.
Mrs. Tetterby schüttelte den Kopf und versetzte das Kind in einen förmlichen Seesturm, so heftig schaukelte sie die Wiege.
»Wenn du meinst, deine Heirat wäre ein Opfer gewesen – – –«, sagte der Gatte.
»Ja, das mein’ ich«, entgegnete die Frau.
»Nun, dann will ich dir sagen«, fuhr Mr. Tetterby, so unwirsch und griesgrämig wie sie, fort, »daß die Sache zwei Seiten hat und daß ich das Opfer war und daß ich wünschte, das Opfer wäre nicht angenommen worden.«
»Ja, das wünschte ich auch, Tetterby, von ganzem Herzen und von ganzer Seele, versichere ich dir«, sagte seine Frau. »Du kannst es nicht inniger wünschen als ich, Tetterby.«
»Ich weiß nicht, was ich an ihr gefunden habe«, brummte der Zeitungsagent, »wahrhaftig, was ich damals an ihr zu sehen glaubte, ist alles weg. Es fiel mir schon gestern abend auf nach dem Essen; sie ist fett, sie wird alt und hält keinen Vergleich mehr aus mit den meisten andern Frauen.«
»Er sieht schrecklich gewöhnlich aus, er ist unscheinbar und klein; krumm wird er auch und kriegt schon eine Glatze«, brummte Mrs. Tetterby.
»Ich muß halb verrückt gewesen sein, als ich hineinsprang«, knurrte Mr. Tetterby.
»Ich muß von Sinnen gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären«, dachte Mrs. Tetterby.
In dieser Stimmung setzten sie sich zum Frühstück. Die kleinen Tetterbys waren nicht gewohnt, dieses Mahl als sitzende Beschäftigung aufzufassen, sondern verzehrten es tanzend oder springend und erhoben es durch gellende Schreie, Schwenken der Butterbrote, durch verwickelte Märsche zur Türe hinaus und wieder herein und durch Herumhüpfen auf der Haustreppe zu einer wilden, phantastischen Zeremonie. Augenblicklich boten die Kämpfe der Tetterbyschen Kinder um den gemeinsamen Krug mit verdünnter Milch, der auf dem Tische stand, ein so jämmerliches Beispiel der hochgehenden Leidenschaftswellen, daß es förmlich das Andenken des Dr. Watts schändete. Erst als Mr. Tetterby die Herde zur vorderen Tür hinausgejagt hatte, trat einen Augenblick Ruhe ein, und auch diese wurde getrübt durch die Entdeckung, daß Johnny sich heimlich wieder hereingeschlichen hatte und wie ein Bauchredner in den Krug hineingurgelte, so unanständig und gierig schlürfte er aus ihm.
»Diese Kinder werden noch mein Tod sein«, sagte Mrs. Tetterby, nachdem sie den Sünder verscheucht hatte. »Je eher es geschieht, desto besser.«
»Arme Leute«, sagte Mr. Tetterby, »sollten überhaupt keine Kinder haben. Sie machen uns kein Vergnügen.«
Er ergriff gerade die Tasse, die ihm Mrs. Tetterby verächtlich hingeschoben, und sie wollte ihre Tasse auch eben an den Mund setzen,
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