Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde
lasse mich auf diesen jetzigen Augenblick ein. Denn in ihm ist alles, wonach ich mich sehne. Wenn ich gegenwärtig bin, dann ahne ich, was es heißt: Gott ist gegenwärtig. Die richtige Reaktion auf die Gegenwart Gottes ist die Ehrfurcht und die Anbetung. In der Anbetung vergesse ich mich selbst. Da bin ich einfach nur da. Ich falle vor Gott nieder, weil seine Gegenwart mich ganz und gar ausfüllt.Wir müssen diese Kunst wieder lernen, ganz im Augenblick zu sein, präsent zu sein. Gott ist gegenwärtig. Und nur wenn der Mensch auch ganz in der Gegenwart lebt, vermag er ihm zu begegnen. Begegnung ist ohne Gegenwart nicht möglich. Das gilt nicht nur für die Begegnung mit Gott, sondern auch für die Begegnung mit einem Menschen. Nur wenn beide ganz gegenwärtig sind, können sie sich begegnen, nur dann nehmen sie den anderen so wahr, wie er ist.
Ewigkeit ist jetzt
„Die Menschen verbringen ihre ganze Zeit mit vorbereiten, vorbereiten, vorbereiten … Nur um dem nächsten Leben dann völlig unvorbereitet zu begegnen.“ Das sagt der tibetische Weise Drakpa Gyaltsen über die Menschen im Westen.
Viele Menschen bereiten sich ständig nur darauf vor, wirklich leben zu können, anstatt das Leben zu ergreifen, das schon da ist. Das Leben ist in jedem Augenblick. Doch oft benutzen wir unsere spirituellen oder auch psychologischen Techniken und Methoden lediglich dazu, uns für die Zukunft zu wappnen. Wir glauben, uns erst dann den heutigen Anforderungen stellen zu können, wenn wir unsere gesamte Vergangenheit aufgearbeitet haben. Doch manche bleiben in der Aufarbeitung ihrer Verletzungsgeschichte stecken. Sie kommen nie zum Leben. Andere bereiten sich durch gute Vorsätze darauf vor, irgendwanneinmal gelassen und heiter leben zu können. Aber sie kreisen immer nur um die Vorsätze, die sie doch nicht erfüllen. Sie bräuchten nur ihren ganzen Druck loszulassen, mit dem sie sich zwingen, die Voraussetzungen des Lebens zu erfüllen. Der Druck erzeugt kein Leben. Er behindert es nur.
Das Leben ist in jedem Augenblick gegenwärtig. Es liegt vor meinen Füßen. Ich muss es nur betreten. Ich brauche keine lange Vorbereitung. Der nächste Schritt ist ein Schritt ins Leben, wenn ich ihn bewusst vollziehe. Wer ganz im Augenblick lebt, der spürt hier und jetzt schon, dass Zeit und Ewigkeit zusammenfallen. Für den bricht die Ewigkeit in seine Zeit ein. Er hat jetzt schon ein Gespür für das ewige Leben, für das „nächste Leben“. Er bezieht den Tod mit ein in sein Leben. Er denkt an den Tod nicht an etwas Zukünftiges, auf das er sich vorbereiten muss, sondern als etwas, das ihn jetzt einlädt, im Augenblick zu leben.
Wie im Himmel
„Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, fehlst du ihn für und für.“ (Angelus Silesius)
Angelus Silesius spricht unsere tiefste Sehnsucht an: den Himmel. Es ist nicht nur der Himmel, der uns nach unserem Tod erwartet, sondern der Himmel, der in uns ist. Wir sagen von Augenblicken, in denen unsere Sehnsucht erfüllt wurde: Es war himmlisch. Doch solche himmlischen Augenblicke können wir nicht festhalten. Sie ziehen an uns vorbei. Wenn wir den Himmel in uns entdecken, dann brauchen wir uns nur nach innen zu wenden. Dann sind wir im Himmel. Dann wird es für uns himmlisch. Dann hören wir auf zu hetzen.
Gott in mir und ich in Gott
„Ewigkeit ist, wenn es nicht mehr an Gegenwart fehlt.“ (Boethius)
Wie kann es mir an Gegenwart mangeln? Die Gegenwart ist doch einfach da. Ja, sie ist da. Aber wenn ich nicht in der Gegenwart bin, dann fehlt sie mir. Gegenwart ist Anwesenheit. Wenn ich nicht anwesend bin, ist auch der Augenblick nicht anwesend. Denn der Augenblick bekommt durch mich sein Sein, seine Präsenz. Ewigkeit ist daher auch, wenn ich ganz anwesend bin, wenn ich ganz bin, wenn ich teilhabe am reinen Sein. Gott ist das reine Sein. Wahre Gegenwart ist nur in Gott. Gott ist stets gegenwärtig. Und wenn ich gegenwärtig bin, ist Gott in mir und ich in Gott.
Quellenhinweis
Die Texte sind entweder neu formuliert oder wurden im Rundbrief „einfach leben – ein Brief von Anselm Grün“ ( www.einfachlebenbrief.de ) publiziert. Weitere Texte sind, teilweise sprachlich neu gefasst, folgenden Büchern von Anselm Grün entnommen:
Mit Anselm Grün zur inneren Balance finden, Freiburg, 5. Auflage 2008, S. 21 f., 29, 32 f., 41, 45, 58, 112, 146.
Das Buch der Lebenskunst, Freiburg 5. Auflage 2009, S. 30 f., 67 ff., 76, 79 f., 122 f., 126 f., 156 f., 159.
Im Zeitmaß der Mönche,
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