Denkanstöße 2013
27 Pfarreien geschlossen und plant, 41 andere zu 18 Pfarreien zu fusionieren. Auch diese Betroffenen appellieren an Rom â angesichts der dortigen uneinsichtigen Bürokraten ebenfalls vergebliche Liebesmüh. Als »Christenverfolgung von oben« bezeichnet man vielerorts in Deutschland solche Fusion von Pfarreien.
Ich vermute, ein Theologe wie Joseph Ratzinger , der mehr als drei Jahrzehnte am vatikanischen Hof gelebt hat, kann kaum verstehen, wie weh mir ums Herz wird, wenn ich in meiner Heimatpfarrei im Sonntagsgottesdienst, wo ich in früheren Jahrzehnten eine volle Kirche vorfand, jetzt manchmal nur wenige Dutzend Gläubige vor mir sehe. Doch ist dies nicht, wie von Rom immer wieder behauptet, nur eine Folge der wachsenden Säkularisierung, sondern auch eine Folge einer von Rom zu verantwortenden fatalen binnenkirchlichen Entwicklung. Noch gibt es mancherorts aktive katholische Jugendgruppen und funktionierendes Gemeindeleben, getragen von tapferen Frauen und Männern der Gemeinde. Aber immer mehr scheint die Kirche aus dem Bewusstsein der jungen Generation zu entschwinden. Man ärgert sich nicht einmal mehr über die weltfremde Rückständigkeit der Hierarchie in so vielen Fragen von Moral und Dogma. Man interessiert sich nicht mehr für die Kirche, sie ist für das Leben vieler junger Menschen bedeutungslos geworden. Aber im Vatikan merkt man davon kaum etwas. Da brüstet man sich mit noch immer hohen Pilgerzahlen, auch wenn viele davon schlicht Touristen sind, und hält die päpstlichen Jugendtreffen für repräsentativ für »die Jugend«.
Die gescheiterte Restaurationspolitik zweier Päpste
Es erstaunt immer wieder, wie auch säkulare Zeitgenossen, die sich nicht der Kirche zugehörig fühlen, und ästhetisierende Intellektuelle sich blenden lassen von wieder verstärkter barocker Prachtentfaltung und von medienwirksamen liturgischen Inszenierungen, womit man in Rom eine starke Kirche und einen unangefochtenen Papst zu demonstrieren versucht. Doch kann aller sakrale Prunk nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Restaurationspolitik Johannes Pauls II. und Benedikts XVI . aufs Ganze gesehen gescheitert ist. Alle päpstlichen Auftritte, Reisen und Lehrdokumente vermochten die Auffassungen der meisten Katholiken in kontroversen Fragen nicht im Sinne römischer Doktrin zu verändern. Und selbst päpstliche Jugendtreffen, besucht vor allem von konservativen charismatischen Gruppierungen und gefördert von traditionalistischen Organisationen, konnten weder die Kirchenaustritte bremsen noch mehr Priesterberufungen wecken. Selbst in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die gemeinhin als aufgeschlossen gerühmt wird, sind von Januar bis Mitte November 2010 insgesamt 17 169 zutiefst enttäuschte Katholiken, also 0,9 % der Gesamtmitgliederzahl, ausgetreten.
Die oben skizzierte Auszehrung der Kirche ist in den vergangenen drei Jahrzehnten sehr weit fortgeschritten. Aber sie wurde weithin als unabänderliches Schicksal hingenommen, murrend zwar und klagend, aber letztlich gott- oder papstergeben. Aufgeschreckt wurde die ganze Weltöffentlichkeit erst durch die sich häufenden himmelschreienden Sexualskandale im Klerus: vor allem der Missbrauch von Tausenden von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker, in den Vereinigten Staaten, Irland, Belgien, Deutschland und anderen Ländern â dies alles verbunden mit einer nie dagewesenen Führungs- und Vertrauenskrise.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass das weltweit in Kraft gesetzte Vertuschungssystem von klerikalen Sexualvergehen gesteuert war von der römischen Glaubenskongregation unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger (1981â2005), wo schon unter Johannes Paul II. unter strengster Geheimhaltung die Fälle gesammelt wurden. Noch am 18. Mai 2001 sandte Ratzinger ein feierliches Schreiben über die schwereren Vergehen (»Epistula de delictis gravioribus«) an alle Bischöfe. Darin werden die Missbrauchsfälle unter das »Secretum Pontificium« gestellt, bei dessen Verletzung man sich schwere Kirchenstrafen zuziehen kann. Dieses Schreiben wurde bisher nicht zurückgezogen.
Zu Recht fordern deshalb viele vom damaligen Präfekten und jetzigen Papst ein persönliches »Mea culpa«. Doch leider hat er in der Karwoche 2010 die Gelegenheit dafür verpasst. Stattdessen lieà er sich am Ostersonntag 2010 in einer so noch nie
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